Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Minas Stirn.
Danke.
Sie senkte den Kopf. Eine Träne tropfte auf den goldenen Schlüssel.
Karol hob wieder die Hand, als wolle er ihr über die Wange streichen. Das Sonnenlicht fiel zwischen seinen Fingern hindurch wie durch einen Fächer. Sie bewegten sich, schrieben in die leuchtende Luft, dicht vor Minas Gesicht; keine Buchstaben, Symbole, die einen Wimpernschlag lang deutlich und klar vor ihr standen.
Er fuhr noch einmal darüber, und das erste Zeichen wurde schwächer, verblasste, Augenblicke, bevor auch die anderen in der Luft zerrannen.
Mina stand regungslos.
Dann raschelte es in den Büschen um sie her, klare Stimmen blinkten wie Tau. Sie sah noch den spinnwebfeinen Schatten, den Karols Wimpern auf seine Wangen warfen; vollkommen gebogen wie Vogelschwingen im Flug. Dann schlossen sich warme, feste Arme von hinten um ihren Leib, und sie warf sich herum und vergrub das Gesicht in Liljas weitem, grünem Kleid.
Der feine Regen begleitete sie in den Tag. Als leises Trommeln auf den Blättern, wie von elfenschmalen Fingerspitzen, zog er mit ihnen aus dem Tal der Tänzerin. Als sachte Kühle ließ er sich auf ihren Wangen und Augenlidern tragen, als leichtes Frösteln schlüpfte er unter ihre Kleider.
Auch der Schlüssel ging mit ihnen. Mina schob ihn in ihr Bündel, das neben einer der Mauern gelegen hatte, achtlos, kalt. Wohl sah sie den kunstvollen Schwung seines winzigen Barts, die sorgsamen Ziselierungen seines Kopfes, die eine kundige Hand getrieben hatte, so dass sie beinahe wie winzige, lebendige Ranken aussahen. Es war eine kostbare Arbeit. Für Mina aber besaß sie nicht den geringsten Wert.
Sie trottete hinter den Tatern her, die in den Wald zurückgingen, aufatmend, wie in ein Zuhause. Die grünen Wipfel schlossen sich über ihnen, bis der dünne Regen kaum noch mehr war als ein Kitzeln auf der bloßen Haut. Es roch nach Rinde, nach Erde und feuchtem Moos. Im Gehen begannen Pipa und Zinni ein Fingerspiel mit einem alten Bindfaden; bald plauderten und lachten sie, auch wenn Zinni immer wieder über die Schulter mitleidige Blicke auf Mina warf.
Sie zuckte zusammen, wann immer sie diese Blicke bemerkte. Unter den Kleidern, unter dem Mantel, den sie gegen den Regen wieder übergestreift hatte, fühlte sie sich nackt und schutzlos. Als ob ein Mal sie kennzeichnete, ein schrecklicher, weithin sichtbarer Makel, der sagte: Etwas fehlt.
Sie alle hatten es sofort gesehen, selbst Zinni. An der Art wohl, wie sie nur immer wieder in neue Tränen ausbrach, wenn ein erleichtertes Lächeln angebracht gewesen wäre. An den verkrampften Wangen, wann immer ihre Mundwinkel versuchten, sich nach oben zu bewegen. Keiner hatte es ausgesprochen. Lilja hatte sie schweigend gehalten, Rosa hatte ihr die offenen Haare glatt gestrichen und tröstend ihre schöne, fuchsblonde Farbe gelobt. Nad hatte ihr einen neuen, gräsernen Schnürsenkel für den zweiten eingezogen, der in dem wilden Tanz nun auch gerissen war. Die Tater waren warm wie zuvor und nah wie zuvor, auf ihre eigene, unerklärliche Art.
Aber es war schlimmer als zuvor. Viel schlimmer.
In den Stunden, die Mina sich hinter den anderen durch den Wald schleppte, schien es ihr so, als wären mit ihrem Lachen auch alle Gefühle verschwunden, die damit verbunden gewesen waren. Sie sah kaum hin, als neben ihr ein winziger blauer Vogel kopfüber an einem Stamm heruntereilte, den Schnabel voll mit Gräsern, die länger waren als er selbst. Als Zinni, ins Bindfadenspiel vertieft, über eine Wurzel stolperte und einen unfreiwilligen Purzelbaum schlug, streckte sie im Gehen nur die Hand aus, um ihm aufzuhelfen, und er erschrak vor ihren zusammengepressten Lippen. Danach fiel sie noch weiter zurück.
Als Tausendschön von irgendwo aus dem Gebüsch neben
ihr auftauchte, wäre sie am liebsten stehen geblieben, bis er weitergegangen war. Aber inzwischen glaubte sie ihn gut genug zu kennen, um zu wissen, dass er sich so leicht nicht abschütteln ließ. Also seufzte sie nur tonlos, zog den Mantel enger um sich und sah auf ihre Stiefel. Sie hoben und senkten sich im regelmäßigen Wechsel, wie bei einer Maschine. Von den stechenden Schmerzen, die sie in den Füßen verursachten, wussten sie nichts. Ohne die Salbe, die Lilja ihr gegeben hatte, als sie Minas Humpeln sah, hätte sie nicht einen einzigen Schritt geschafft.
Tausendschön sagte nichts dazu. Eine ganze Weile sagte er überhaupt nichts. Er schlenderte neben ihr dahin, wie es seine Katerart war, schnupperte hier
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