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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Moment auch Minas Gefühle gewesen waren. Übermut. Und Trotz. Ja, Trotz.
    So leicht nicht, dachte sie bei sich. Nein, so leicht nicht.
    Sie legte das Buch weg, riss entschlossen einige lange Halme aus. Legte einen nach links und die anderen nach rechts. Lilja beobachtete sie aufmerksam.
    »Zittergras«, sagte sie, aber Mina schüttelte den Kopf und deutete von links nach rechts, mehrere Male. Lilja runzelte die Stirn.
    »Ein Gras, und mehrere Gräser. Ein Gras, und anderes Gras.«
    Mina nickte heftig und versuchte gleichzeitig, wieder den Kopf zu schütteln. Lilja lächelte.
    »Ein Grashalm auf dieser Seite. Andere Grashalme auf der anderen Seite. Was unterscheidet sie?«
    Mina musste nicht überlegen. Eine fast unhörbare Stimme hatte ihren Hall hinter ihrer Stirn hinterlassen; ein Klang, so fein und klar, dass er leichter war als die Luft, die ihn trug. Frei …
    Sie legte den einzelnen Halm auf ihren Handrücken und blies sanft dagegen. Lautlos segelte er auf Liljas Rock.
    »Ah«, sagte Lilja und strich mit dem Finger darüber. »Einer ist fort. Und die anderen?«
    Mina presste die übrigen Halme in der Faust zusammen, so dass sie knickten und brachen.
    Lilja nickte nachdenklich.
    »Die anderen … nicht«, sagte sie. »Die anderen … die anderen was?«
    Mina schluckte. Es gab nur eine Möglichkeit, diese Frage
zu beantworten. Sie wollte es nicht tun; nichts weniger als das. Scham brannte wie so oft in ihren Wangen, als sie zögernd aufstand. Und von ihren schmerzenden Füßen stieg ein Schauder aus der frischen Erinnerung auf. Aber sie hob tapfer die Arme über den Kopf, als sie stand, wie die unverkennbare grazile Pose einer Ballerina, und drehte sich langsam um sich selbst.
    Und als sie Liljas Blick wieder begegnete, da war es für einen Moment so, als wäre sie wieder auf ihrem Dachboden, warm, geborgen und in Sicherheit; und als wäre eine der zauberhaften Damen aus Licht aus ihrem Funkeln gestiegen, säße jetzt dort, in einem bequemen Sessel, und sähe sie an, freundlich, aufmunternd, und so wunderschön in ihrem schimmernden grünen Ballkleid.
    Jede Scheu fiel von Mina ab. Sie drehte sich ein zweites Mal, schneller, gewagter. Ihre Lippen schmerzten, als sie sich aufeinanderpressten in dem vergeblichen Versuch zu lächeln.
    Dann lösten sie sich langsam wieder voneinander. Die krampfartige Anspannung verschwand, und schon in der dritten Drehung fragte Mina sich verwundert, wo sie geblieben war.
    Dabei war es kein Rätsel, in der vierten Drehung spürte sie es: Ihr ganzer Körper war es, der jetzt lächelte.
    Sie flog Lilja um den Hals, sie konnte nicht anders. Die Taterfrau drückte sie an sich und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
    »Wie schön«, sagte sie leise, »wie schön du tanzt, kleine Mina. Jetzt verstehe ich gut, warum geschehen ist, was in dem Tal geschehen sein muss. Wir konnten dich nicht mehr sehen, nachdem du in den Saal gegangen warst. Und
erst, nachdem er sich erhoben hatte, erinnerte ich mich an die Geschichten. Es war zu spät, dich zu warnen. Aber ich glaubte, die Gefahr wäre nicht groß. Ich wusste nicht, was für eine zauberhafte Tänzerin du bist. Hätte ich es geahnt …«
    Sie legte den Kopf schief, um Mina ins Gesicht zu sehen.
    »Natürlich konnte sie dir nicht widerstehen, die eine, die so lange allein tanzte. Nein, natürlich nicht.«
    Sie lachte leise, ohne Minas Blick loszulassen. Aber ihre Augen verdunkelten sich schnell wieder.
    »Und die anderen … die anderen … Sie tanzen immer noch allein, nicht wahr? Ist es das, Mina? Hat sie dir das gesagt?«
    Mina nickte erleichtert.
    »Sie tanzen allein«, wiederholte Lilja grüblerisch. »Allein, wann tanzen Mädchen allein? Wenn niemand da ist, der mit ihnen tanzt. Wenn einer nicht kommt, der ihnen versprochen hat zu kommen. Wenn … Oh, Mina.«
    Ihre Stimme klang plötzlich scharf vor Schmerz. Aber die Linien in ihrem Gesicht blieben weich, und als sie weitersprach, war ihre Stimme ruhig.
    »Mina, willst du wirklich dorthin? Es ist ein so trauriger Ort. Und ganz sicher keiner für ein junges Mädchen, wie du es bist. Ich glaube, sie meinte den Brutsee, Mina. Den Brutsee, wo die verlorenen Mädchen sich im Nebel auf dem Wasser drehen.«
    Mina fröstelte. Das Wort klang so schwer, so hart vor Traurigkeit. Lautlos drehte sie es im Mund hin und her. Brutsee … Es musste ein Wort in der Bauernsprache sein, denn mit Brüten, mit niedlichen gelben Küken und stolzen Hennen konnte es nichts zu tun haben. Sie versuchte,
sich in

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