Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
wieder sinken.
Aus dem Dorf geht sie, es sind gar nicht so viele Schritte bis zum Fluss, zum See, zum Weiher. Es gibt einen Steg, wo sie Wäsche gewaschen hat mit den anderen jungen Frauen … Und von dort ist es nur noch ein einziger Schritt. Das Leid wiegt schwerer als jeder Stein, sie sinkt hinab, ohne die Augen zu schließen, und ihr Kleid erblüht im Wasser. Sie sieht es nicht. Nichts sieht sie, bis auf sein Gesicht, sein schönes, schönes Gesicht, die strahlenden Blausterne seiner Augen; und immer noch, selbst jetzt, kann sie ihn nicht zwischen den dichten Wimpern entdecken, den Verrat. Sie hört ihr Herz klopfen, wie es klopfte, wenn er ihre Hand nahm, einen Atemzug lang noch. Dann schweigt es still, wie die Glocken im Dorf, und niemals, niemals wird sie der Welt vergeben können …
Minas Brust hob und senkte sich schwer. Der graue Kummer füllte ihren Mund wie Watte. Während Rosa neben ihr leise zu schluchzen begann, sah Mina die Bräute auf dem See weiter in unerbittlicher Klarheit dahintreiben. Wenn sie nur aufblicken würden. Wenn sie nur die Köpfe heben könnten unter dem verwelkten Putz, die Traurigkeit gespiegelt finden auf den Gesichtern der anderen. Wenn sie nur wüssten, dachte Mina, dass sie nicht alleine sind.
Der Kreis auf dem Wasser öffnete und schloss sich, und Rosa schlug plötzlich mit der flachen Hand auf den Stein und sagte laut:
»Nicht ich! Hörst du, Mina? Nein, nicht ich. Niemals ich! Hörst du mich, Mina?«
Mina hörte es.
Dort, wo der Stein ins Dunkle tauchte, bewegten sich die Wellen. Mina zog hastig die Füße an, als aus dem See ein
Scheitel nach oben stieg, nicht blond, nicht braun und ganz ohne jeden Schleier; wechselnde Strähnen, wie das Wasser, wenn das Licht zwischen Blättern darübertanzt. Die Augen, die darunter zum Vorschein kamen, waren groß und blass und weit geöffnet. Mina bog furchtsam den Körper zurück, aber es war ein wacher, lebendiger Blick, der sie traf. Nichts Geisterhaftes lag in ihm.
»Wer klopft an unsere Tür?«, sagte ein Seerosenmund, als die Gestalt weiter aus dem Wasser stieg, und Minas Hand presste Rosas Finger noch fester.
Ein schlanker Hals hob sich empor, zarte Schultern, über denen die Haarsträhnen sich ringelten. Es war nicht zu sagen, ob sie nass waren oder von allein so glänzten. Lang fielen sie nach unten, bis über die weiße Brust. Sie war bloß, und Mina wandte die Augen ab, während ihre Wangen heiß wurden.
»Wer klopft?«, fragte die Gestalt wieder, und wenn ihre Stimme eben noch zart über Kieselsteine im Bachbett geplätschert war, so schlug sie jetzt eine hohe Welle gegen Klippen. »Wer stört die Wassermädchen bei ihrem Schauspiel?«
Mina atmete langsam aus und fühlte ihren Atem auf den Lippen zittern. Und dann sah sie sie, die Spitze einer Schwanzflosse zwischen den leichten Wellen, dicht neben dem hellen Leib im Wasser. Sie bewegte sich hin und her.
»Zwei Menschenmädchen«, sagte Rosa schüchtern und drückte Minas Hand. »Zwei Menschenmädchen sind wir nur, die eine geschickt hat, um eine Botschaft zum See zu bringen.«
Die Nixe wandte ihr den hellen Blick zu. Sie blinzelte nicht.
»Menschenmädchen? Sie kommen nicht zum Stein. Menschenmädchen gehen zum Steg, dort, auf der anderen Seite.«
Mina schauderte.
»Nein«, sagte Rosa rasch, »nein, wir sind … Wir haben nur eine Botschaft. An die …« Sie stockte. »An sie . Kannst du sie ihnen bringen?«
Die Nixe schlug mit ihrem Fischschwanz, dass das Wasser spritzte. Mina sah die großen bunten Schuppen aufglänzen, bevor sie wieder im nassen Dämmer verschwanden.
»Bin ich ein Bote für die traurigen Schwestern? Nehmt doch einen Kahn, Menschenmädchen, und fahrt hinüber zu ihnen!«
»Nein«, Rosas Stimme wackelte. »Nein, ich glaube, das werden wir besser nicht tun.«
Die Nixe lachte, aber es klang keine Schärfe darin. Es war ein weiches, rundes, volles Lachen, das kein Gewissen kannte, so wenig wie der Fluss, der im Frühjahrsüberschwang über die Ufer steigt.
»Fürchtet ihr euch vor ihnen?«, fragte sie. »Dafür gibt es keinen Grund. Sie sind nur da, um sich traurig auf dem Wasser zu wiegen. Sie drehen sich, und wir sehen ihnen dabei zu. Wenn die Fischer kommen, hüllen sie sich in Nebel, oder sie tauchen erst gar nicht auf. Sie haben nichts mehr mit den Menschen zu schaffen, wenn sie erst einmal über den Rand getreten sind.«
Mina öffnete den Mund, dumm, töricht, und die Nixe sah sie an.
»Was ist, Menschenmädchen? Hast du
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