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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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zu. »Ich hasse ihn, und ich hasse …«
    Aber sie sagte es nicht.

    Der nächste Tag kam blass und scheu, wie Mina und die Tater selbst, als sie das Lager zusammenpackten. Rosa und Viorel sahen einander nicht ins Gesicht, jeder beschäftigte sich dort, wo der andere nicht war. Zinni wühlte stumm mit einem Stöckchen im Moos, Lilja faltete die Decken mit ungewohnt strengen Bewegungen, und Nads Augen blickten dunkler als sonst. Schuldbewusst fragte sich Mina, was sie vielleicht mit angehört hatten. Beim Streiten waren sie und Pipa laut genug gewesen …
    Sie bemühte sich, Rosa und Viorel nicht anzusehen, sie fürchtete sich vor dem, was die beiden in ihren Augen lesen mochten. Hartnäckig mied sie auch Pipas Blick, und als sie schließlich über einem Bündel mit ihr zusammenstieß, stellte sie fest, dass das Tatermädchen mit ebenso tief gesenktem Kopf umherging. Zögernd stahl sich ein schiefes Lächeln auf Pipas Mund; ihre Oberlippe war geschwollen.

    Als es in Minas Mundwinkeln ruckte, wurde das Lächeln noch schiefer.
    »Tut mir leid«, murmelte Pipa. »Du verrätst mich nicht, oder?«
    Mina schüttelte den Kopf, der Nacken schmerzte ihr dabei. Wie sollte sie wohl? Und wem würde es nützen? Sollte sie im Selam suchen, nur um Lilja mitzuteilen, dass Pipa ihre große Schwester belauscht hatte und dass sie - der Gedanke kam Mina erst, als sie sich schon wieder linkisch voneinander abgewendet hatten -, dass sie es gewesen sein musste, die Rosa von Viorels Fehltritt erzählt hatte, mit allen bösen Hintergedanken, die man dabei nur haben konnte? Damit der Frieden unter den Tatern noch heftiger gestört wurde, als er es jetzt schon war?
    Mina ertappte sich dabei, wie sie aus den Augenwinkeln immer wieder nach einem sachten Schimmern in der Luft zwischen den Bäumen suchte. Wenn Karol käme, seine stille, sanfte Gegenwart würde die Schlingen und Knoten auflösen, die unter der Oberfläche saßen. Überall, nicht nur bei den Tatern. Beim Schlangenkönig, der bestohlen worden war und nun voller Hinterlist steckte. Bei der armen, verfluchten Marthe. War er so sterbenskrank, dass er den Wald nicht schützen konnte? Oder verhielt es sich andersherum?
    Wenn er doch nur wiederkäme …
    Aber er tauchte nicht auf unter dem nieselnden Regen, oder er zeigte sich ihr nicht.
    Sie sprachen kaum, als sie sich wieder auf den Weg machten. Es ging tiefer in den Wald hinein, die Bäume rückten enger zusammen. Das Tageslicht war nicht viel mehr als das matte Glänzen des Regens auf den Blättern.

    Einmal raschelte es dicht neben Mina, und für einen Augenblick hoffte sie, es könnte Tausendschön sein, einen Mottenflügel schräg im Maul, bissige Bemerkungen auf der rauen Zunge. Sogar seine Tadel und seine Rätsel hätte sie sich jetzt gern angehört, alles wäre besser als das drückende Schweigen. Aber auch der Kater ließ sich nicht blicken.
     
    Sie gingen lange, jeder mit seinem eigenen Stück Stille um sich herum. Das Licht wurde matter und grauer, während die Stunden dahinsanken, eine nach der anderen, unter dem Geräusch des Regens. Aus der Tiefe stieg langsam eine klamme Traurigkeit in Mina auf, dehnte sich aus wie die Pfützen auf ihrem Weg.
    Es war eine Erleichterung, als Lilja irgendwann mit ruhiger Stimme sagte:
    »Wir sind schon sehr nah. Ich kann den Kummer fast mit den Händen greifen. Er tropft aus jedem Baum.«
    Die Tater nickten schweigend.
    Man hörte das Wasser nicht, wie den Bach im Taterlock, aber man roch es in der Luft, die nach und nach noch feuchter wurde. Ein eigentümlicher Geruch; nicht frisch und klar wie von einem schnell fließenden Fluss, nicht salzig schwer wie die Meeresluft, die manchmal die Schlei hinauftrieb. Etwas Süßliches war darin, wie von modernden Pflanzen.
    Sie hielten auf einem niedrigen Hügel an.
    »Dort drüben«, sagte Lilja und deutete über ein paar knorrige, alte Schlehen. Hinter den verflochtenen Ästen schimmerte es grau.
    Nad stellte seine Bündel ab. »Wir rasten hier«, sagte er, und als Mina ihn ansah, schienen die Falten in seinem Gesicht
tiefer als sonst zu sein. »Es ist nah genug; vielleicht schon mehr als genug. Und wir bleiben nicht länger als nötig.«
    Mina senkte den Blick und nickte dabei.
    Sie suchte sich erst gar nicht einen Platz auf dem Hügel, legte nicht einmal das Bündel ab. Zinni fing an zu quengeln. Pipa ging zu ihm, setzte ihn sich auf den Schoß und begann mit leiser, zaghafter Stimme für ihn zu singen.
    » Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehn

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