Der siebte Sinn der Tiere: Warum Ihre Katze weiß, wann Sie nach Hause kommen, und andere bisher unerklärte Fähigkeiten der Tiere (German Edition)
Ausschau zu halten und sie den Behörden zu melden. Im Juni 1974 gab die Staatliche Seismologische Behörde Chinas eine Warnung aus, dass aufgrund einer historischen Analyse und geologischer Messungen in den nächsten Jahren in der Provinz Liaoning mit einem schweren Erdbeben zu rechnen sei.
Daraufhin wurde das wissenschaftliche Beobachtungsnetzwerk vergrößert, und in Fabriken, Schulen und landwirtschaftlichen Genossenschaften wurden Gruppen von Amateurbeobachtern zusammengestellt. Über 100000 Menschen wurden dafür ausgebildet, nach ungewöhnlichem Verhalten von Tieren und Veränderungen im Niveau und in der Trübung von Wasser in Brunnen Ausschau zu halten sowie auf seltsame Geräusche und ungewöhnliche Formen von Blitzen zu achten.
Mitte Dezember 1974 erwachten Schlangen aus dem Winterschlaf, krochen aus ihren Nestern und erfroren auf der schneebedeckten Erdoberfläche. Ratten tauchten in großen Scharen im Freien auf und waren oft so verwirrt, dass sie mit der Hand eingefangen werden konnten; das Vieh und das Geflügel waren seltsam aufgeregt, und das Wasser in den Quellen wurde trübe. Am 22. Dezember kam es zu einem schwächeren Erdbeben, aber im Januar 1975 gab es immer wieder Berichte über ungewöhnliches tierisches Verhalten, wobei über 20 Arten starke Anzeichen von Angst bekundeten. Man entwickelte Pläne zur Evakuierung von Haicheng, einer Großstadt mit rund einer halben Million Einwohner. Anfang Februar nahm die Zahl der Berichte erheblich zu, als Rinder, Pferde und Schweine in Panik zu geraten begannen. »Gänse flogen in die Bäume, Hunde bellten wie verrückt, Schweine bissen einander oder unterwühlten die Zäune ihrer Pferche, Hühner weigerten sich, in die Ställe zu gehen, Kühe zerrissen ihre Halfter und flüchteten, Ratten tauchten auf und benahmen sich wie trunken … Die Grundwasser-Anomalien breiteten sich ebenfalls weiter aus.« [267]
Am Morgen des 4. Februar wurde beschlossen, Haicheng zu evakuieren. Am selben Tag ereignete sich schließlich um 19.36 Uhr das vorhergesagte Erdbeben, das eine Stärke von 7,3 auf der Richter-Skala aufwies. Mehr als die Hälfte aller Gebäude in der Stadt wurde zerstört. Zehntausende hätten vielleicht ihr Leben verloren, wenn es die rechtzeitige Warnung nicht gegeben hätte. »Es gab zwar Opfer, aber meist handelte es sich um Personen, die der offiziellen Erdbebenvorhersage zu wenig Glauben geschenkt hatten, um die Februarkälte im Freien in Kauf zu nehmen.« [268]
Eine Zeitlang waren westliche Seismologen beeindruckt. Über die Möglichkeit, ungewöhnliches Verhalten von Tieren für Erdbebenwarnungen heranzuziehen, wurde sogar im US Geological Service diskutiert. [269] Aber nach ein paar Jahren machte sich wieder die übliche Skepsis breit, und die Idee wurde fallengelassen. Doch die Chinesen fuhren mit ihrem Erdbebenvorhersage-Programm fort. Sie haben zwar einige spektakuläre Fehlschläge hinnehmen müssen, vor allem das nicht vorhergesagte Erdbeben von Tangshan im Jahre 1976, bei dem mindestens 240000 Menschen umkamen. Aber sie haben auch weiterhin erfolgreiche Vorhersagen gemacht. 1995 beispielsweise warnten sie die örtlichen Behörden in der Provinz Yunnan einen Tag vor einem starken Erdbeben. [270] Am 5. April 1997 sagten Seismologen in Xinjiang voraus, dass sich innerhalb einer Woche ein Erdbeben der Stärke 5 bis 6 ereignen würde. Dazu ein Bericht aus der Zeitschrift Science: »In der Nacht evakuierten die Behörden 150000 Menschen und brachten sie notdürftig in Hütten und Zeltunterständen unter. Am frühen Morgen des nächsten Tages gab es ein Beben der Stärke 6,4 und gegen Mittag ein weiteres Beben der Stärke 6,3. Beide zerstörten 2000 Häuser und beschädigten 1500 weitere Häuser, aber niemand wurde getötet. Ähnliche Vorhersagen gingen einem Beben der Stärke 6,6 am 11. April und einem Beben der Stärke 6,3 am 16. April voraus.« [271]
Die Wissenschaftler aus Xinjiang gaben zwar in dieser Zeit einmal blinden Alarm, dennoch sind die Chinesen bemerkenswert erfolgreich in ihren Vorhersagen, und das in auffallendem Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen, die nicht einmal derartige Versuche unternehmen. Die Chinesen halten sich weiterhin an ein pragmatisches Vorgehen, indem sie seismologische und geologische Messungen mit Beobachtungen von Brunnen und Quellen sowie anderen »alternativen Methoden« verbinden – wie man in westlichen wissenschaftlichen Publikationen das Erforschen von ungewöhnlichem Verhalten von Tieren nennt.
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