Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
– ein weiterer Hinweis auf die lange Erfahrung der Eiscarls mit dem Leben in der Wildnis.
An diesem Punkt der Reise war Tal so müde, dass er sofort schlief, wenn Milla es erlaubte, ganz gleich wie das Wetter war.
Am vierten Tag wurde der Schneeregen irgendwann weniger und hörte schließlich ganz auf. Auch der Wind klang ab und die Luft wurde ruhig. Sie kamen jetzt schneller voran und erreichten etwas, das gemäß der Knochenkarte die eingestürzte Pyramide sein musste.
Sie sahen sie zum ersten Mal, als sie das Licht der beiden Laternen reflektierte. Tal und Milla glaubten einen schrecklichen Moment lang, sie stünden einer riesigen Kreatur gegenüber. Doch beim genaueren Hinsehen wurde ihnen klar, dass das kein Lebewesen war.
Als sie erschöpft die Straße hinaufgingen, erkannten sie, dass es eine Pyramide war. Eine Pyramide aus blauem Kristall, dreimal so hoch wie Milla. Sie musste vor langer Zeit den Berg heruntergerutscht sein, denn sie stand nicht mehr aufrecht da. Ihre Spitze zeigte geradewegs in Richtung des Abhangs, anstatt zum Himmel.
„Der Eingang zum Tunnel des Heizungssystems muss ganz in der Nähe sein“, sagte Tal. „Die Tafel sagt im Umkreis von hundert Spannen.“
„Erwähnt sie das auch?“, fragte Milla und hob ihre Laterne. Das grüne Licht wurde von der glänzenden Oberfläche der Pyramide reflektiert.
Genau vor der Pyramide hörte die Straße einfach auf. Sie war weggebrochen und hatte nichts als einen beängstigenden Abgrund zurückgelassen.
„Oh“, sagte Tal. „Nein. Das erwähnt sie nicht.“
Milla und Tal krochen vorsichtig an den Rand des Abgrunds. Der Boden war nicht zu sehen.
„Können wir nicht seitlich hochklettern?“, fragte Tal und sah zum Berghang hinüber. „Über den Abgrund hinweg?“
Milla drehte ihre Laterne. Sie sah sich den lockeren Fels an und erkannte, dass es erst vor kurzer Zeit ein paar Erdrutsche gegeben hatte. Sie schüttelte den Kopf.
„Die Felswand ist zu brüchig“, sagte sie. „Wir müssen über den Abgrund springen.“
KAPITEL FÜNF
„Springen?“, stieß Tal hervor. „Unmöglich. Das sind mindestens zehn… oder zwölf Spannen!“
Milla schob ihre Gesichtsmaske hoch und sah sich die Spalte noch einmal an.
„Nein“, sagte sie dann. „Wir können darüberspringen. Sogar du kannst es.“
„Es muss doch einen anderen Weg geben“, meinte Tal verzweifelt. Er ging zur Felswand hinüber, die neben der Straße aufragte und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an einen kleinen Vorsprung über seinem Kopf.
Der Felsen wurde locker und erschlug Tal beinahe. Er konnte gerade noch zur Seite springen. Milla hatte Recht. Die Wand war zu brüchig.
Tal sah wieder über den Spalt hinweg. Ein solcher Sprung wäre Selbstmord. Er konnte nicht einmal den Boden sehen. Sie waren kurz vor einer Biegung in der Straße, also musste es ein senkrechter Abfall bis zur nächsten Serpentine dort unten sein. Das waren mindestens fünfhundert Spannen!
Er drehte sich um. Milla spannte die gezahnten Kieferknochen, die sie als Spikes benutzten, an ihre Stiefel. Und sie hatte etwas hervorgeholt, was Tal schon einmal gesehen hatte: Handschuhe aus Selski-Haut, besetzt mit langen, gebogenen Klauen aus einem rötlichen Knochen.
„Du wirst mir mit den Klauen-Händen helfen müssen“, sagte Milla, als sie ihre Stiefelzähne anlegte. Dann versuchte sie, einen Pitonen in die Straße zu hauen, doch er konnte den Stein wegen der hohen Metallanteile nicht durchdringen. An allen anderen Stellen war die Straßendecke nicht fest genug.
Milla zuckte schließlich mit den Schultern und verstaute den Piton wieder. Sie ließ ihr Bündel auf dem Boden liegen und schnallte sich stattdessen ihr Schwert aus Merwin-Horn an den Gürtel. Dann zog sie die klauenbesetzten Handschuhe an. Da Tal sah, dass sie an den Handgelenken befestigt werden mussten, half er ihr. Er folgte geduldig ihren Anweisungen und machte die entsprechenden Knoten.
„Stell die Laternen an die Kante“, sagte Milla. Sie hatte ihre Maske noch nicht wieder angelegt. Tal sah, wie sie einen Blick auf die andere Seite des Abgrunds warf.
„Vielleicht solltest du dir ein Seil umbinden?“, fragte er. „Ich könnte es festhalten…“
„Es gibt hier nichts, an dem man es festmachen könnte“, sagte Milla. „Ich würde dich mit hinab reißen.“
Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie: „Wenn ich es nicht schaffe, Tal, wirst du dann weitergehen? Wirst du dann die Suche beenden und einen
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