Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
Sonnenstein für meinen Clan holen? Dann würde ich auch nach meinem Tod eine Schildjungfrau werden.“
Tal sah sich den dunklen Abgrund an und war versucht zu sagen, dass er auch keine Chance hätte, wenn Milla es nicht schaffen würde. Doch sie hatte ihn mit seinem Namen angesprochen und sich nicht des üblichen höhnischen Tonfalls bedient. „Ich werde es versuchen“, versprach er und schluckte schwer.
„Normalerweise würde ich dich nicht darum bitten“, sagte Milla. „Aber ich bin noch immer nicht ganz bei Kräften.“
„Großartig“, murmelte Tal unhörbar. Er warf wieder einen Blick in den Abgrund und griff dann nach Millas Klauenhänden.
„In Ordnung“, sagte er. „Ich werde zuerst springen.“
„Was?“ Milla war plötzlich wieder ärgerlich. „Zweifelst du etwa an meinem Mut?“
Sie zog ihre Hände zurück und stapfte vielleicht zwanzig Schritte aus dem Licht der Laternen.
„Ich werde dir die Tapferkeit einer Schildjungfrau beweisen!“, rief sie zornig.
„Nicht, Milla!“, rief Tal. „Warte! Ich habe nicht gemeint… hör mir einen Moment zu…“
Bevor er ausreden konnte, kam Milla aus der Dunkelheit gelaufen. Mit rudernden Armen zog sie an Tal vorbei. Zwei Schritte vor dem Abgrund warf sie sich mit ausgestreckten Armen nach vorn.
„Jaaaaahhhhhh!“
Tal hastete an die Abbruchkante. Er hörte nichts als das Rollen von Felsen. Milla konnte er auf der anderen Seite nicht sehen. Mit einem Gefühl der Übelkeit hob er eine der Laternen.
Innerhalb des kleinen Lichtkegels bewegte sich nichts.
„Milla!“, rief Tal und seine Stimme hallte in der Leere wider.
Es kam keine Antwort, doch dafür fiel Tal eine winzige Bewegung auf. Eine klauenbesetzte Hand griff über die Kante auf der anderen Seite.
Dann folgte die zweite Hand und schließlich Millas Kopf. Mit einem erstickten Stöhnen zog sie sich über die Kante und kroch ein paar Schritte vorwärts. Jeder normale Mensch wäre nun erschöpft zusammengebrochen, doch nicht Milla: Sie stand auf und drehte sich zu Tal um.
Als sich ihre Blicke trafen, wusste Tal, dass jetzt er an der Reihe war. Ohne Klauenhandschuhe.
Doch immerhin hatte sich der Wind schon vor einer Weile gelegt.
„Wirf mir ein Seil herüber“, rief Milla. „Ich werde dich damit an der Pyramide sichern.“
Tal holte erleichtert ein Seil hervor. Wenigstens würde er gesichert sein. Und wenn er fiel, würde er nur… er würde wenigstens nur so tief fallen, um zwar ernsthaft verletzt, aber nicht tot zu sein. Wenn er Glück hätte.
Als er sich umdrehte, um Milla das Seil zuzuwerfen, stand sie gebeugt da. Sie hatte die Hände auf die Knie gestützt und offensichtlich Schmerzen. Als er sich bewegte, richtete sie sich sofort wieder auf, so als hätte sie niemals auch nur das leiseste Zwicken verspürt.
Tal sagte nichts und warf ihr das aufgewickelte Seil zu. Er verstand die Eiscarls einfach nicht.
Milla schnitt die Bänder an ihren Handschuhen durch und zog sie aus. Dann schlang sie aus dem Seil ein Lasso und warf es gekonnt über die Spitze der Pyramide. Das Ganze machte einen sicheren Eindruck – Milla prüfte auch, ob der Kristall der Pyramide nicht das Seil durchschneiden konnte. Aber auch wenn die Kanten einmal scharf gewesen sein mochten, so hatte die lange Zeit in Wind und Schnee sie rund geschliffen.
Tal fing das Ende des Seils, das sie zurückwarf.
„Binde eines an den Rucksack“, instruierte Milla ihn. „Und eines an die anderen Seile. Dann können wir es hinunterlassen und wieder hochziehen.“
Tal tat schnell, was sie ihm sagte. Er ließ das zweite Seil über seinen Rücken in den Abgrund hinunter, bis Millas Seil gespannt war. Sie konnte es dann hochziehen. Sie wiederholten diesen Vorgang mit Tals Rucksack und einer der Laternen. An einer anderen war bereits ein Seil befestigt, doch sie wollten die Laterne bis zuletzt stehen lassen, damit Tal sehen konnte, wo er abspringen musste.
Tal war froh, dass all diese Vorbereitungen seinen Sprung hinauszögerten. Er versuchte noch immer, einen anderen Weg zu finden, wie er hinübergelangen konnte, auch wenn es keine Alternative zu geben schien. Noch einmal ging er an die Kante des Abgrunds und sah hinab. Ein Schwindelgefühl überkam ihn so plötzlich, dass er beinahe hinabstürzte. Er machte sofort einen Schritt zurück.
Es musste einen anderen Weg geben! Er achtete nicht auf Milla und ging die Straße entlang von der Schlucht weg. Mit der Laterne beleuchtete er die senkrecht aufragende Steilwand. Wenn
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