Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
er irgendwo massives Gestein finden würde, könnte er daran hoch und über den Abgrund hinweg klettern.
Er glaubte einen Spalt zu sehen und einen Moment erfüllte ihn Hoffnung. Dann sah er, dass es nur ein Streifen dunkleren Felsens war.
Es gab keinen anderen Weg auf die andere Seite. Keinen anderen Weg, wenn er zurück zum Schloss wollte.
Milla warf das Seil wieder herüber. Tal schlang es sich einmal um die Hüfte und befestigte das Ende an seinem Gürtel.
„Wenn ich es nicht schaffe…“, begann er, verstummte aber mitten im Satz. Auch wenn er Milla jetzt fragen würde – sie wäre niemals in der Lage, seinen Vater oder seine Mutter finden, geschweige denn Gref zu retten. Und für die Erwählten gab es keine Beförderungen nach dem Tod. Wenn er abstürzen würde, könnte sich sein Traum, ein Violetter zu werden, niemals erfüllen. Seine Brillanz Tal Graile-Rerem, Schattenlord des Violetten Ordens würde es niemals…
„Was ist los?“, rief Milla.
Tal schüttelte langsam den Kopf und verscheuchte seine Gedanken.
Jetzt wickelte Milla das Seil noch weitere zwei Mal um die Spitze der Pyramide. Sie ließ gerade so viel Spiel, dass Tal es auf der einen Seite an seiner Anlaufstrecke auslegen konnte. So würde er nicht darüber stolpern.
Als alles bereit war, ging Tal in die Dunkelheit zurück, um Anlauf zu nehmen. Er blieb eine Weile stehen und versuchte, seinen Herzschlag wieder so weit zu verlangsamen, dass er wenigstens einzelne Schläge unterscheiden konnte.
Sein Schattenwächter stand neben ihm. Er war gegen den dunklen Fels kaum zu sehen und im dünnen Licht der Mottenlaterne auch zu schwach, um Tal jetzt helfen zu können. Und doch lehnte er sich wie ein Sprinter nach vorn und Tal wusste, dass er ihn ermutigen wollte.
Es war kälter geworden, doch Tal wusste nicht, ob es daran lag, dass er so lange still gestanden hatte oder ob seine Angst ihn frösteln ließ.
Milla schien weit, weit entfernt zu sein, am Ende eines Tunnels. Eine winzige Gestalt, beleuchtet von den Lichtreflexen, die von der Pyramide zurückgeworfen wurden.
„Das ist wie ein Wettkampf in Körperbeherrschung“, sagte Tal sich. „Irgendjemand hat ein gähnendes Loch in meinen Weg gelegt. Wenn ich darüberspringe, gewinne ich. Violetter Strahl der Erfüllung. Springen. Gewinnen. Springen.“
Er holte tief Luft und lief los. Die Zähne an seinen Schuhen knirschten scharf auf dem steinigen Straßenbelag. Das Seil schlängelte sich neben ihm, als das grüne Licht und die Dunkelheit des Abgrunds schneller und schneller näher kamen.
„Jaaaaaahhhh!“, brüllte Tal, als er sich nach vorn warf
… ins Nichts.
KAPITEL SECHS
Die andere Seite des Abgrunds flog auf ihn zu. Er streckte die Arme aus, zog die Beine an und fiel vorwärts. Dann wusste er, dass er es nicht schaffen würde. Gleich würde er nur noch fallen und nicht mehr springen. Das Seil würde lose an ihm vorbeizischen und sein Schattenwächter würde verzweifelt versuchen, ihn aufzufangen…
Er schlug gegen den Fels, griff nach einem Halt und stieß die mit Zähnen besetzten Schuhe in die Wand. Dann bemerkte er, dass er keine senkrechte Wand hinunterschlitterte. Er lag flach auf dem Boden und versuchte verzweifelt einen Fall aufzuhalten, der überhaupt nicht stattfand.
Er hatte es geschafft – und war weiter als Milla gesprungen!
Er blieb keuchend liegen, während Milla das Seil von seinem Gürtel und der Pyramidenspitze löste. Sie wickelte es auf und sagte kein Wort. Auch nicht, als sie über ihn hinweg stieg, um das andere Seil mit der Laterne einzuholen.
Schließlich stand Tal auf und nahm seinen Rucksack auf die Schulter. Sein Schattenwächter huschte an einen passenden Ort zu seinen Füßen. Vielleicht beglückwünschten die Eiscarls sich nicht gegenseitig, wenn sie dem Tod entronnen waren. Vielleicht nahmen es einfach nur zur Kenntnis.
Oder auch nicht.
„Guter Sprung“, sagte Milla schließlich, als Tal seinen Rucksack in die richtige Lage brachte.
„Danke“, gab er zurück. Doch Milla hatte bereits ihre Gesichtsmaske gesenkt und sich abgewandt. Sie ging um die Pyramide und verschwand aus seinem Blickfeld.
„Halte nach dem Tunneleingang Ausschau“, sagte Tal und folgte ihr eilig. „Er muss ganz in der Nähe sein.“
Die Straße, die hinter der Pyramide weiterlief, war nun in einem viel besseren Zustand. Der ursprüngliche Belag war besser erhalten und der Berg war auch nicht mehr an so vielen Stellen abgerutscht. Tal zählte laut
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