Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
Stirn sowie beide Hände auf die knöchernen Planken. Sie begann, im vierten Rovkir-Muster zu atmen. Das würde sie auf eine tiefere Bewusstseinsebene bringen, noch tiefer als die der Träume.
Sie hörte die Kreaturen nicht, die von allen Seiten über das Schiff herfielen. Sie spürte weder ihre Klauen noch ihre schnappenden Kiefer. Sie bekam weder etwas von ihrem Verschwinden mit noch von der gewaltigen Explosion, in der das Schiff gegen einen Felsen fuhr. Sie sah die Geistschatten nicht, die auf sie zurasten und ihr Traum-Ich zerfetzen wollten.
Milla hatte bereits die Hülle ihres Traum-Körpers verlassen. Sie war sogar noch weiter gegangen, so weit, dass sie ihre eigene Identität verloren hatte. Sie war ein winziger, leuchtender Funke in einem unendlichen Nichts. Ein Funke, der sich so lange versteckte, bis Milla von jemandem gefunden werden würde, der die Macht hatte, sie in die Hülle ihres Traum-Körpers und dann in ihre reale Form zurückzuführen.
Zwei verschiedene Leute waren überrascht über das, was Milla tat. Einer stand nahe bei ihr und war verwirrt – vielleicht sogar ein wenig ängstlich. Der andere war weit entfernt und eher vorsichtig.
Ersterer war Fashnek, Meister des Saals der Albträume. Er war in Millas Traum eingedrungen und hatte das Eisschiff gesehen. Das war noch Millas eigener Traum gewesen. Doch als Fashnek eingegriffen und Monster zum Angriff gesandt hatte, hatte Millas Traum-Form nicht so reagiert, wie es ein Untervölkler oder ein Erwählter hätte tun müssen. Sie hätte eigentlich schreiend umherlaufen und versuchen müssen, aufzuwachen. Doch sie hatte vollkommen ruhig und ungerührt verharrt und die Monster waren nicht an sie herangekommen.
Fashnek hatte dem Schiff einen großen Felsen in den Weg gestellt und es in einem gewaltigen Aufprall vernichtet. Doch wieder war Millas Traum-Form nichts zugestoßen. Das Teil des Decks, auf dem sie lag, war durch die Luft gesegelt und sicher auf dem Eis gelandet.
Fashnek hatte dann seinen eigenen und andere Geistschatten gerufen und sie direkt in Millas Traum geschickt. Doch auch sie konnten sie nicht berühren. Ihre Schattenklauen und -zähne schlugen geradewegs durch das Mädchen hindurch. Sie reagierte noch nicht einmal.
Fashnek wurde wütend. Er zog sich in seinen beschädigten Körper zurück und verstellte die Sonnensteine, um mehr Kraft auf die Gefangene in der Kristallkugel zu richten. Außerdem sandte er eine Nachricht an seinen Meister. Er unterrichtete ihn, dass er jemanden gefunden hatte, der seinen Kräften widerstand.
Während er außerhalb von Millas Traum war, betrat eine andere Person ihre Traumwelt. Sie glitt über das Eis dahin, und obwohl ihre Stiefel keine Kufen hatte, kam sie mit jedem Schritt schneller näher, als jeder Eisläufer es gekonnt hätte. Sie trug keine Fellkleidung, sondern nur eine schlichte, schwarze Robe. Ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr langes Haar war so weiß wie das Eis. Tal hätte in ihr die Crone der Far-Raider erkannt. Hier, in Millas Traum, war sie noch eine halbe Spanne größer.
Sie sah sich die Wrackteile an und schnüffelte an dem Eis um Millas gebeugten Traum-Körper. Was auch immer sie roch: Sie rümpfte die Nase. Sie berührte Milla nicht, sondern drehte sich um und rief in die Dunkelheit hinaus. Der Schrei ließ das Eis vor ihr brechen und wirbelte Knochensplitter in die Luft.
Der Schrei wurde fast sofort beantwortet. Noch mehr Gestalten in schwarzen Roben kamen über das Eis geglitten. Noch mehr Cronen mit Sternenaugen, die zunächst in Zweier- und Dreiergruppen auftauchten und sich dann zu einer großen Gruppe von vierzig zusammenschlossen. Schweigend versammelten sie sich um die Hülle von Millas Traum-Körper, wo sie auf jemanden zu warten schienen.
Schließlich kam dieser Jemand. Eine Mutter-Crone mit milchigen Augen. Sie saß in einem Stuhl mit einer hohen Lehne aus dem allerweißesten Knochen. Der Stuhl bewegte sich von selbst über das Eis und blieb neben Milla stehen. Die Mutter-Crone beugte sich nach unten und berührte den Kopf des Mädchens.
Milla kam zurück, von wo auch immer sie gewesen war, aber noch immer träumte sie. Sie wusste angesichts all der Cronen und der Mutter-Crone auf ihrem weißen Stuhl, dass es ein Traum war. Es waren die vertrauten Gestalten aus ihrer Kindheit; die Cronen, die kamen, um Albträume zu vertreiben. Alle Eiscarl-Kinder lernten, wie sie mit Albträumen umgehen mussten, wie sie sich in ihren Träumen bewegen konnten und wie sie
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