Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
hängen zusammen in dieser Sache.“
Er war sich nie sicher, was genau Crow eigentlich meinte. Machte er Witze?
„Adras, du bleibst besser dicht bei mir“, wies Tal seinen Geistschatten an, als er sich dem Schleier näherte. „Halte dich an meiner Schärpe fest. Dir wird die Innenseite des Schleiers vielleicht… nicht gefallen.“
„Weshalb nicht?“, fragte Adras. Er schwebte näher heran und hakte sich mit zwei Fingern in Tals blauer Schärpe ein.
„Er besteht aus absoluter Dunkelheit“, sagte Tal. „So dunkel, dass man das Gefühl hat, nie wieder das Licht zu sehen.“
Adras schwieg. Tal sah, dass es ihm schwer fiel, sich absolute Dunkelheit vorzustellen. Das lag offensichtlich jenseits seiner Phantasie.
„Warte eine oder zwei Minuten, dann komm mir nach“, sagte Tal zu Crow. „Kletter so schnell du kannst hindurch. Es hilft dir, davor einmal tief Luft zu holen.“
„Weshalb?“, fragte Crow.
„Ich bekam das letzte Mal keine Luft“, erklärte Tal. „Ich bin mir nicht sicher, ob du im Schleier atmen kannst.“
Crow hob eine Augenbraue, so als glaubte er Tal nicht. Doch er sagte nichts.
Tal griff nach oben in den Schleier und sah, wie seine Hände verschwanden. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, als wären sie wirklich verschwunden. Er bog seine Finger und bekam etwas zu fassen, an dem er sich festhalten konnte.
„Bis gleich“, sagte er. Dann holte er einmal tief Luft und zog sich hoch.
In den Schleier hinein. In die absolute Dunkelheit.
KAPITEL NEUNZEHN
Der Weg hinunter vom Berg des Lichtes war lang. Odris schrie und rief auf dem ganzen Weg, steuerte aber ständig und verzweifelt durch tödliche Windböen und vorbei an plötzlich auftauchenden Felsvorsprüngen.
Irgendwann kamen sie auf den Vorhügeln des Berges auf, wobei sie im Schnee eine tiefe Spur hinterließen.
Milla stand sofort wieder auf, doch Odris hielt sie fest.
„Milla! Was soll die Eile?“
Das Eiscarl-Mädchen gab keine Antwort. Sie begann, Odris wieder durch den Schnee zu schleppen.
„Milla!“, versuchte Odris es ein zweites Mal. Dieses Mal streckte sie zusätzlich eine Hand aus und schlug Milla ins Gesicht.
„Lass mich gehen“, sagte Milla mit einer seltsam flachen Stimme. Sie schleppte noch immer den Geistschatten hinter sich her. „Ich muss zum Ruinenschiff gehen.“
„Etwas ist ganz und gar nicht mit dir in Ordnung“, erwiderte Odris. Sie hielt sich an dem Mädchen fest und drehte wieder den Kopf. Milla atmete sehr eigenartig; ihre Nasenlöcher pumpten in einem seltsam hypnotischen Muster.
Odris wollte gerade Millas Nase zuhalten, als jemand anderes Millas Namen rief.
„Milla!“
Odris zuckte zurück, um einen natürlichen Schatten darzustellen, doch es war zu spät. Eine Eiscarl-Frau stand nur ein Dutzend Spannen entfernt im Schnee. Sie stieß gerade ihre Skier weg und hielt ein Messer in der Hand.
„Abscheu!“
Die Eiscarl-Frau sprang auf Milla zu und legte ihr das blitzende Messer ans Kinn. Doch Milla drehte sich weg und das Messer rutschte über ihre Schulter, durchschnitt ihren Fellmantel und traf die Haut.
„Zu mir!“, rief die Frau. Durch die mentale Verbindung mit Milla fühlte Odris, wie ein Name in ihr Gedächtnis kam.
Arla. Schildmutter.
Antwortschreie kamen von nicht weit entfernt aus der Dunkelheit.
Arla griff Milla schon wieder an, doch das Mädchen blockte den Hieb ab und warf Arla über seine Schulter. Die Schildmutter machte einen Salto und landete auf den Beinen. Sofort drehte sie sich um, um Millas Gegenschlag abzuwehren.
„Ich muss das Schiff und die Cronen erreichen“, sagte Milla mit ihrer eigenartig flachen Stimme. „Das Ruinenschiff. Die Mutter-Crone.“
„Niemals!“, stieß Arla hervor. „Schattensklave!“
Die beiden gingen noch einmal aufeinander los und tauschten zwei Hiebe aus. Milla wurde wieder von dem Messer verletzt, dieses Mal an der Brust. Doch sie reagierte nicht darauf. Als Arla sich für den nächsten Hieb drehte, sah Odris, dass sie auf einer Seite des Gesichts verletzt war, wo Millas Schlag ihre Gesichtsmaske weggefegt hatte.
„Halt!“, donnerte Odris. Sie fuhr dazwischen, packte Arla mit der einen und Milla mit der anderen Hand, beide am Hals. „Mit Milla stimmt etwas nicht! Sie braucht Hilfe, keine Mordanschläge!“
„Zu mir!“, rief Arla wieder. „Abscheu!“
Milla sagte kein Wort, streckte aber ihre linke, mutmaßlich leere Hand aus. Da verlängerte sich der seltsame Fingernagel, den sie trug, von selbst und
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