Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
sie sich um.
Eine Frau mit silberfarbenen Augen in schwarzen Fellen hielt Milla im Arm, die Hand fest auf das Herz des Eiscarl-Mädchens gepresst. Als Odris sich umdrehte, sah die Frau sie an und sagte schnell noch einmal dieselben Worte.
Dieses Mal zeigten sie weniger Wirkung. Odris spürte, wie der Schatten in ihr rumorte, sie jedoch nicht festhalten konnte. Sie drehte sich vollends um und ging einen Schritt nach vorn.
Ein leuchtendes Schwert erschien in der anderen Hand der Frau. Es war eine kürzere Version des Merwin-Horn-Schwerts, das Milla bei ihrem Angriff auf Sushin verloren hatte.
„Komm nicht näher, Schatten“, befahl die Frau. „Du wirst dieses Mädchen nicht bekommen.“
Odris seufzte und setzte sich.
„Ich will sie doch gar nicht bekommen“, sagte sie.
Die Frau zuckte zusammen und die Schildjungfrauen keuchten erschrocken auf. Ein paar von ihnen liefen weg, doch die restlichen blieben, wie von der Frau befohlen, in einem Ring um Odris stehen, nicht näher als dreißig Spannen.
„Du sprichst“, sagte die Frau. „Es ist lange her, dass wir einen Schatten gesehen haben, der spricht.“
„Geht es Milla gut?“, fragte Odris. „Für mich fühlt es sich so an, als ob sie krank wäre und außerdem hat sie sich sehr seltsam benommen.“
„Milla?“, fragte die Frau und sah nach unten. „Wenn das ihr Name ist, dann ist sie sehr weit in das Zehnte Muster vorgedrungen. Ich weiß nicht, ob wir sie wieder herausholen können. Wenn nicht, wird sie sterben.“
„Ich will nicht, dass sie stirbt!“, heulte Odris. „Was wird dann aus mir?“
Der Geistschatten begann zu weinen. Große Schattentränen rollten herunter und blieben als schwarze Punkte auf dem Schnee liegen.
„Hüte dich vor den Strategien der Schatten“, murmelte die Frau. „Lemel, du holst besser die Mutter-Crone selbst und nicht nur eine Schattenflasche.“
„Nicht nötig“, sagte eine ruhige, leise Stimme. „Ich bin hier.“
Eine sehr alte, große Frau hatte gesprochen. Odris sah, dass sie eigenartig milchige Augen hatte. Sie kam zielstrebig nach vorn, holte etwas aus der Tasche, die sie bei sich trug, und zerbrach es unter Millas Nase.
„Ich dachte mir, dass es Milla ist“, sagte die Mutter-Crone. „Wie ich sehe, hat sie ihren Sonnenstein bekommen.“
„Sie sprach seltsame Dinge“, sagte die erste Crone. „Worte, deren Übermittlung sie sich selbst auferlegte, tot oder lebendig. Ich habe sie gehört.“
„Dann werde ich sie auch hören“, sagte die Mutter-Crone. „Können wir sie retten?“
„Wenn du es wünschst“, sagte die jüngere Crone. „Sie ist bei der Wahl der Wege.“
„Bring sie zurück“, befahl die Mutter-Crone. „Ich möchte mehr wissen als nur ein paar Worte. Und du, sprechender Schatten. Wie lautet dein Name und deine Art?“
„Ich bin Odris. Einst Sturmhirtin auf Hriggas Hügel“, sagte Odris. „Und wer seid Ihr?“
„Ich bin die Mutter-Crone des Ruinenschiffs“, sagte die alte Frau. „Ich bin die Weisheit von Danir, das Lebende Schwert von Asteyr.“
„Oh“, sagte Odris. Sie stand auf und verneigte sich.
„Gemäß des alten Gesetzes von Danir ist keinem Aenirer der Zugang zur Dunkelwelt gestattet“, fuhr die Crone fort. „Mit welchem Recht kommst du hierher?“
„Ich kam mit Milla“, erklärte Odris. „Sie wollte Euch davon berichten, dass der Schleier in Gefahr ist, dass die Schlüsselsteine geöffnet wurden und…“
„Halt!“, befahl die Mutter-Crone. „Wir werden mit Milla selbst über diese Dinge reden. Ich frage noch einmal: Mit welchem Recht kommst du in die Dunkelwelt?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Odris niedergeschlagen. „Ich wollte nur vom Hügel wegkommen und musste plötzlich Milla folgen.“
„Wir müssen ein Urteil über dich fällen“, sagte die Mutter-Crone. „Wirst du freiwillig in dein Gefängnis gehen oder muss ich dich zwingen?“
Odris sah sich um. Die Schildjungfrauen konnten sie wahrscheinlich nicht verletzten, aber da war die Crone mit dem leuchtenden Schwert. Die Mutter-Crone schien ebenfalls sehr zuversichtlich zu sein, dass sie Odris unterwerfen konnte.
„Ich werde tun, was Ihr wollt“, gab Odris zurück. „Unter einer Bedingung.“
„Wir lassen uns keine Bedingungen stellen“, sagte die Mutter-Crone. „Aber sag mir, was du willst. Vielleicht ist es gar keine Bedingung.“
„Ich möchte, dass Ihr Milla davon abhaltet, sich dem Eis zu überlassen.“
Die Mutter-Crone sah zu Milla hinab. Sie schien jetzt zu
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