Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
Schein der Metallwände des Ruinenschiffs.
Sie hatte es geschafft. Sie war nicht tot. Die Crone hatte sie zurückgeholt.
„Versuch nicht aufzustehen“, sagte die Crone. „Du warst sehr weit im Zehnten Muster. Du wirst noch ein paar Tage schwach sein.“
„Ich muss mit der Mutter-Crone reden“, flüsterte Milla. „Schatten. Aenir. Der Schleier.“
„Wir wissen schon alles“, sagte die Crone. „Du hast es mir erzählt, als du noch in dem Muster warst. Und wir sind durch deine Gedanken gegangen, während du schliefst.“
Milla nickte. Jetzt hatte sie ihre Aufgabe erfüllt. Die Cronen wussten, was sie tun mussten.
„Ich werde auf das Eis gehen“, sagte sie. „Ich habe die Kraft dafür.“
Die Crone schüttelte den Kopf.
„Du musst nicht auf das Eis gehen. Zumindest noch nicht. Deine Schattenkameradin und du, über euch beide muss noch gerichtet werden. Wenn du stark genug bist zu tragen, was auch immer für dich beschlossen wird.“
„Es wird kein Urteil geben müssen“, sagte Milla schwach. „Ich habe meinen natürlichen Schatten verloren. Ich habe einen freien Schatten vom Schloss mitgebracht und…“
Sie runzelte die Stirn, als ihr plötzlich nebelhafte Erinnerungen kamen.
„Habe ich gegen die Schildjungfrauen gekämpft?“
„Ja“, sagte die Crone ruhig.
„Arla…“, flüsterte Milla. „Ich glaube, mich schwach zu erinnern…“
„Die Schildmutter ist tot“, sagte die Crone geradeheraus. „Sie starb mit dem Schwert in der Hand, wie sie es sich gewünscht hätte. Und doch war sie immer schneller mit dem Messer, als mit Worten…“
„Ich… habe Arla getötet?“
Milla ließ den Kopf nach hinten fallen. Sie hatte nur ein paar vage Erinnerungsblitze seit ihrem Ausstieg aus den Heiztunnels. Jetzt sah sie ganz deutlich in ihrem Kopf einen kleinen Teil: Den seltsamen Nagel an ihrer Hand, der quer über Arlas Bauch gefahren war.
„Es war kein fairer Kampf“, sagte sie. Die Worte blieben ihr beinahe im Hals stecken. Sie hob ihre Hand, um den seltsamen, von winzigen Sonnensteinen besetzten Fingernagel aus violettem Kristall zu zeigen. „Ich hatte Erwählten-Magie.“
Die Crone schüttelte den Kopf.
„Es war kein Stammeskampf, weshalb hätte er also fair sein sollen? Außerdem war Arla eine Schildmutter, stärker und erfahrener als du. Und dieser seltsame Fingernagel ist keine Erwählten-Magie.“
„Was dann?“, fragte Milla. Ihre Stimme war nur sehr schwach und brach beinahe vollends, als sie versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben.
„Er gehört uns“, sagte die Crone. „Einer von zweien, die vor langer Zeit für Danir angefertigt wurden. Einen behielt sie und einen gab sie weg. Beide sind seit mehr als tausend Umrundungen verschollen.“
Milla hörte die Stimme der Crone von weit, weit weg. Sie versuchte zu antworten, konnte es aber nicht.
Bewusstlosigkeit kam über sie.
Als sie wieder zu sich kam, waren drei Cronen und viele Schildjungfrauen in ihrem Zimmer.
„Die Mutter-Crone hat beschlossen, dass ein Urteil über dich gesprochen wird“, sagte die älteste, die Crone mit den milchigen Augen. „Bist du stark genug, um zu tragen, was auch immer dein Schicksal sein soll?“
Milla nickte. Sie war unfähig zu sprechen und konnte die Schildjungfrauen nicht ansehen. Sie rückten enger zusammen, als Milla zittrig und mit der Hand auf dem Schwertgriffaufstand.
„Folge mir“, sagte die ältere Crone. Sie zog den Fellvorhang zurück und ließ Milla heraus. Die anderen Cronen kamen ihr nach, doch rechts und links von Milla blieb je eine begleitende Schildjungfrau.
Es ging nur langsam voran. Milla hatte sich noch nie so erschöpft gefühlt. Sie konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen, schaffte es aber irgendwie, vorwärts zu kommen. Die Schildjungfrauen blieben stehen, wenn sie stehen blieb. Die Cronen hingegen boten ihr keine Hilfe an.
Irgendwann kamen sie zu einer breiten Tür, deren Fellvorhänge bereits zur Seite gezogen waren. Die Cronen gingen mit Milla hinein, die Schildjungfrauen blieben draußen. Sie zogen die Felle zu, sobald die letzte Crone im Raum war.
Milla hatte ihren Blick während des gesamten Weges auf ihre Füße gerichtet. Jetzt hob sie langsam den Kopf.
Sie waren in einen großen Saal gekommen, etwa so groß wie der Saal des Reckoner. Doch dieser Saal war beinahe leer – ein großer Raum mit golden glänzenden Metallwänden, einem Boden und einer Decke, die ebenfalls gold glänzten.
Es gab nirgendwo Sonnensteine, dafür waren
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