Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
an den Pyramidenstumpf gelangte. Die weißen Kacheln waren in diesem Bereich schon zu weit voneinander entfernt, als dass man sie erreichen konnte.
„Es muss eine Möglichkeit geben, diesen Baum zum Schweigen zu bringen“, sagte Crow.
Tal zuckte mit den Schultern. „Mit den richtigen Worten oder dem richtigen Licht. Aber das falsche würde sie alle zum Klingeln bringen.“
Crow sah sich den Baum an, dann den Boden und schließlich Tal.
„Du bist leichter als ich“, sagte er. „Ich schätze, ich kann gerade auf diesen beiden weißen Kacheln stehen und dich bis zu diesem Ast hochheben. Dann musst du nur die jeweilige Glocke festhalten, die ich auslöse.“
„Ach, und sonst nichts?“, protestierte Tal. Er überlegte und sah sich den Baum an. Wenn er so wie die Bäume im Kristallwald gewesen wäre, hätte man an ihm hochklettern können. Doch man würde ebenso leicht herunterfallen oder sich an den dünneren Ästen schneiden können.
„Hast du einen besseren Vorschlag?“
„Ich könnte es noch einmal versuchen“, sagte Adras, der sich noch immer den Kopf rieb.
„Nein“, sagte Tal. „Ich habe keinen besseren Vorschlag.“
Auch ohne einen neuen Vorschlag gingen sie noch einmal um den Turm herum und schauten sich die anderen drei Eingänge an. Vielleicht sahen der Baum und der Boden ja an einer Stelle anders aus und man konnte ihn leichter überqueren.
Leider war nichts davon der Fall, also kehrten Tal, Adras und Crow zum westlichen Bogen zurück. Die Sonne war mittlerweile vollständig untergegangen, doch der Steg wurde von dem roten Licht beleuchtet, das durch die Torbogen von der Kuppel zurückgeworfen wurde.
Das hellste Licht kam vom Roten Schlüsselstein. Es leuchtete zwischen den silbernen Händen des Pyramidenstumpfs hervor, pulsierend in dem eigenartigen und beunruhigenden Rhythmus eines menschlichen Herzens.
Eines, das langsamer als Tals Herz schlug.
„Bist du bereit?“, fragte Crow.
Tal nickte.
Crow ging mit dem Rücken voraus an den Torbogen heran und drehte den Kopf, um hineinzusehen. Dann stellte er einen Fuß auf Zehenspitzen auf die erste weiße Kachel. Er passte knapp drauf.
Beide Jungen hielten den Atem an. Doch keine Glocke klingelte, kein Licht blitzte auf.
Dann zog Crow seinen zweiten Fuß hinein. Einen Moment sah es so aus, als würde er die Balance verlieren. Er schwankte kurz, fing sich aber sofort wieder. Er faltete die Hände mit den Innenseiten nach oben vor sich, damit Tal sie als Fußstütze benutzen konnte.
Adras half Tal dabei, wobei er Acht gab, nicht zu nahe zu kommen.
Tal, der jetzt draußen von Adras hochgehalten wurde, stellte seinen Fuß in Crows Hände und duckte sich unter dem Bogen hindurch. Adras hielt ihn dabei noch immer am Hemdkragen fest.
„Jetzt!“, rief Tal.
Adras ließ los, Crow riss seine Hände nach oben und Tal stieß sich ab.
Er flog auf den nächst gelegenen Ast zu.
Doch der schien weiter weg zu sein, als es von außen ausgesehen hatte.
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Milla wachte in einem Traum auf. Sie wusste genau, dass es ein Traum war, denn sie stand mit einem Bein auf der Reling eines schnell dahingleitenden Eisschiffs und ließ sich den kühlen Wind durch die Haare wehen. Sonnensteinlicht beleuchtet den Weg des Schiffes, das immer wieder holperte und kippte, wenn die Kufen über unebenes Eis fuhren.
Nicht weit entfernt sah sie das Brodeln einer großen Masse aus Slepenish, die sich durch das Eis bohrte. Kleine Eisberge kippten und zersprangen, als die Millionen und Abermillionen von Slepenish das Eis in offenes Wasser verwandelten.
Das Eisschiff fuhr geradewegs auf das Loch im Eis und damit seiner sicheren Verstörung zu. Und doch war es noch nicht zu spät, das Schiff zu wenden – es musste nur jemand eine Warnung geben.
Milla versuchte zu schreien, doch es kam kein Ton aus ihrem Mund. Sie versuchte zu winken, doch ihre Arme bewegten sich nicht.
Es machte ihr nichts aus, ihrem Ende im eiskalten Wasser entgegenzusehen, doch sie wollte nicht das ganze Eisschiff mit all seinen Menschen mit sich nehmen. Nicht einmal im Traum.
Eine Hand berührte ihre Schulter. Mit der Hand kam die Freiheit. Milla drehte sich um und sah in das Gesicht der Crone mit den silberfarbenen Augen.
Die Crone nickte.
„Offenes Wasser!“, rief Milla. „Dreht ab! Dreht ab!“
Sie schrie die Warnung noch immer, als sie aufwachte.
Die Crone, die sie in ihrem Traum gesehen hatte, war über sie gebeugt. Hinter ihr sah sie den goldenen
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