Der siebte Turm 05 - Die Schlacht beginnt
Sonnenstein heben und ein gedämpftes, sanftes Licht aufflammen lassen konnte.
Adras schwebte noch immer an seiner Seite. Seine große, wolkige Brust hob und senkte sich regelmäßig. Von Zeit zu Zeit ertönte ein kleiner Donnerschlag aus seiner Nase. Er schlief tief und fest.
Tal rutschte von dem Felssims, deckte seinen Sonnenstein ein wenig mit der Hand ab und ging Richtung Tunnelausgang. Draußen war es Nacht. Das silberne Licht des Neumonds lag kühl über dem Aschesee. Zwischen den Häusern und Laufstegen der Enklave der Erwählten funkelten andere Lichter. Wie im Schloss, so waren auch hier überall Sonnensteine angebracht. Sie waren so eingestellt, dass sie nur leuchteten, wenn es um sie herum dunkel war.
Eine leichte Brise wehte in Tals Gesicht. Er genoss den kühlen Hauch einen Augenblick, bevor er wieder hineinging. Er musste sich überlegen, wie er zur Insel der Imperatorin kam und dafür musste er Lokar zu Rate ziehen.
Er fühlte sich ein wenig schuldig, als er den Knoten in seinem Ärmel löste und den Roten Schlüsselstein wieder herausholte. Vielleicht hatte er nicht ernsthaft genug versucht, ihr irres Lachen zu unterbrechen. Das war umso unverzeihlicher, da er doch wusste, wie furchtbar es war, eingesperrt zu sein.
„Lokar“, sagte er und starrte in die glühende Tiefe des Sonnensteins.
Die Wächterin des Roten Schlüsselsteins tanzte noch immer auf ihrer Kreisbahn und ihr Geistschatten hüpfte anscheinend bis in alle Ewigkeit neben ihr her. Doch sie antwortete Tal nicht, zumindest zunächst nicht. Allerdings gab sie ein Geräusch von sich und es war nicht das verrückte Lachen von zuvor. Tal konzentrierte sich noch mehr, um herauszufinden, was für ein Geräusch es war.
Dann bemerkte er, dass es Gesang war. Lokar sang immer und immer wieder das gleiche Lied. Es war ein Schlaflied der Erwählten.
Bleib sonnenklar, verlass mich nicht.
Bei Sonnenaufgang, bis ich gähne, bleib so lang.
Nächtens kommt das Sternenlicht.
Der Mondenschein kommt in Sicht.
Bis die Sonne wiederkommt, bis die Sonne wiederkommt,
bis die Sonne wiederkommt.
Tal hörte sich das Lied zweimal an. Er hatte noch nie zuvor auf den Inhalt geachtet, doch jetzt fiel ihm auf, dass es für die Erwählten des Schlosses ein recht eigenartiger Text war. Wenn sie die Sonne von Aenir genossen, so war das an einem Urlaubsort und nicht Zuhause. Ihr Zuhause wurde vom Schleier verdeckt. Tal hatte noch niemals einen Erwählten ein Wort darüber verlieren hören, dass er den Sonnenschein vermisste. Oder den Mondschein oder den Schein der Sterne. Und doch existierte er, in diesem Kinderlied.
Es musste ein sehr altes Lied sein, älter als der Schleier. Es war schwer, sich vorzustellen, dass die Erwählten den Schleier einst als Schutz gegen die Schatten von Aenir geschaffen hatten. Damals hatten sie keinen Ort gehabt, an den sie hätten gehen können, denn das Reisen nach Aenir war verboten gewesen. Kein Wunder, dass sie von der Sonne sangen…
Lokar begann wieder zu singen und Tal konzentrierte sich wieder auf das nächstliegende Problem.
„Lokar! Lokar!“
Endlich antwortete die Frau.
„Was? Tal?“
„Natürlich bin ich es. Tal.“
„Wie lange ist es her, dass du mit mir gesprochen hast?“, fragte Lokar. „Einen Tag? Eine Woche? Einen Monat?“
„Weniger als einen Tag“, gab Tal besorgt zurück.
Lokar murmelte etwas vor sich hin und fragte dann: „Wo sind wir?“
Tal sagte es ihr und bat sie um Vorschläge, wie er auf die Insel der Imperatorin gelangen konnte.
„Du kannst nicht über die Südbrücke gehen“, gab Lokar schnell zurück. „Nein, nein, nein. Vielleicht über einen der Laufstege schleichen? Nein. Nachts. Aber wo ist es dunkel? Auf den Brücken nicht, auf den Laufstegen nicht, in der Nähe der Häuser nicht. Wo ist es dunkel?“
„Wo ist es dunkel?“, fragte Tal nach. „Was meint Ihr damit?“
„Um ungesehen zur Insel zu kommen“, erklärte Lokar, „musst du im Dunkeln gehen. Alle Brücken und Stege sind von Sonnensteinen beleuchtet. Wie kannst du ungesehen hinüberkommen?“
„Oh nein“, sagte Tal. Ihm war schon jetzt klar, worauf das hinauslief.
„Ja“, flüsterte Lokar. „Du wirst über den Seegrund gehen müssen. Unter der Asche.“
KAPITEL ZEHN
Die Festung der Freivölkler hatte sich nicht verändert und Milla hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Abgesehen von dem Eingang über die abschreckende Schlucht mit dem Lavastrom bot die Festung einen
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