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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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nie festzustellen gewesen. Doch es konnte auch eines der anderen Häuser gewesen sein. Sicher war sich die alte Dame nicht nach so vielen Jahren und Ereignissen.
    Man empfing sie ausgesucht höflich in der friedensmäßigen Pracht und geleitete sie mit der Bitte, sich einen Augenblick zu gedulden, in einen herrschaftlichen Raum. Hier fehlte nichts, nicht einmal eine Fensterscheibe, kein Notofen war aufgestellt, die Heizung sorgte für behagliche Temperatur. Das Warten schaffte Gewißheit. Die bemalte Stuckdecke, die Nische mit dem Springbrunnen und vor allem der riesenhafte Chinateppich, den das Parkett wie ein schmales Passepartout umrandete — hier hatte Esther gewohnt! Sie sah die Freundin vor sich, auf diesem Teppich, neben ihrem strengen Vater, dem Geheimrat, Hauptmann der Reserve und zweifachen Doktor, mit der Zigarre und der glänzenden Uhrkette von einer Westentasche zur andern gespannt.
    Der neue Hausherr kam. Friedensmäßig in Kleidung und Benehmen. Ein wenig zu friedensmäßig, um selbstverständlich zu wirken. Die Angelegenheit war rasch besprochen, er nahm den Auftrag an. Im Geplauder danach konnte die alte Dame nicht widerstehen. Sie lobte ihn aus sich heraus, seiner Tüchtigkeit, oder sollte sie besser sagen Geschicklichkeit, seiner offensichtlich sehr guten Beziehung wegen, denn anders sei dieser Lebensstil bei den herrschenden Zeiten ja nicht zu erklären.
    Er wich nicht aus, zeigte kein maliziöses Schieberlächeln, trumpfte auch nicht auf, deutete nur höflich-bescheiden an, er habe unter dem Naziregime zu leiden gehabt und sei dafür entschädigt worden. Ganz offiziell.
    Es hörte sich glaubhaft an. Im Kopf über schlug die alte Dame, auf welche Weise Verfolgte an den Besitz anderer Verfolgter kommen konnten, und fand, es sei wohl grundsätzlich alles möglich, zumal der Beweis vor ihr lag. Beiläufig spielte sie darauf an.
    »Einen sehr wertvollen Teppich haben Sie da! Ein besonders edles Stück.«
    »Ja.« Jetzt lächelte der neue Herr, mit jenem kollegialen Ausdruck des Auch-bessere-Tage-gesehen-habens, der damals als klaglose Übereinstimmung unter gesellschaftlich Adäquaten viel geübt wurde. »Ja«, wiederholte er nachsinnend, »der ist noch vom Vater .«

    Obwohl laut Statistik durch Fliegerangriffe 81500 Wohnungen zerstört worden waren und 10 Millionen Kubikmeter Schutt das Stadtgebiet bedeckten, haben sehr große Teppiche die Zeitenwende im allgemeinen besonders gut überstanden. Viele lagen jetzt in amerikanischen Dienststellen und Privaträumen ihren neuen Herrn zu Füßen. Auch beim Normalverbraucher, der weder politisch verfolgt, noch Parteimitglied gewesen war, fand sich manch handgeknüpftes Stück von Möbeln gequetscht, die Überlänge hinter Schränken gefältelt, hinter Betten eingerollt.
    Wunderte sich ein zu Besuch weilender Kenner, bekam er möglicherweise dieselbe Antwort wie die alte Dame. Und sie entsprach sogar der Wahrheit, entsprach ihr vielleicht auch erst, wenn man den Begriff des Erbes vom Vater großzügiger auslegte, etwa den Vater Staat miteinbezog. In den letzten Tagen und Stunden des Krieges hatten in Waren- und Verpflegungslagern, sowie in den Residenzen geflohener Bonzen Eigentumsveränderungen großen Stils stattgefunden. Hier von Plünderungen zu sprechen, wie es die Statistik tat, erscheint angesichts des Regimes unpassend: die Unterdrückten holten sich zurück, was ihre Unterdrücker für sich gehortet hatten. Wie diese an die Sachen gekommen waren, ließ sich ohnehin nicht mehr feststellen. Man muß daher von Volkseigentum sprechen, und zum Volk gehörte jeder, der einen deutschen Personalausweis besaß.
    Dieses Volkseigentum gerettet zu haben, war mitunter eine Kalorienfrage: Was der eine nicht mehr schleppen konnte, griff sich der nächste. Mittlerweile ist sowieso alles verjährt. Bewundert man heute in einem kultivierten deutschen Heim einen sehr großen, wertvollen Teppich oder auch andere Kostbarkeiten, die schon so lange da sind, daß der Besitzer mit verhangenem Lächeln — auf das Lächeln kommt es an — sagen kann: Ja, der ist noch vom Vater, besteht kein Grund, das Haus entrüstet zu verlassen. Am besten, man lächelt niveaugleich und meint: »Ja, die Väter! Die verstanden noch zu leben .«

    Frühmorgens, wenn die Sperrstunde zu Ende ging, konnte man handlichere Antiquitäten auf offener Straße bewundern. Frisch besiegte deutsche Frauen und Mädchen trugen sie heimwärts. Ein Rokokosesselchen über der Schulter, eine Pendeluhr, fein

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