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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Stilleben aus Würsten und Speck. Darüber Schmalz, Butter in Klumpen, oben im Schmalteil erschütterungsfrei Ei dicht an Ei.
    Auf der Fahrt hinaus hatten sie noch Vermischtes transportiert: Silber, Uhren, Zinn, Kristall und Porzellan aus Familienbesitz, Andenken, die aufdringlich an bessere Zeiten erinnerten, bis sie schließlich gestohlen werden würden. Handelte es sich dabei nicht gerade um Saitenspiel, so doch um Kulturexport.
    Jeder Geiger hatte seinen speziellen Bauernhof, zu dem er sich heimlich, wie ein Trüffelsucher schlich. Selbst im Freundeskreis verschwieg man die Adressen. Als die Razzien nach schwarzer Ware immer strenger wurden, die Kontrollen am Stadtrand immer häufiger, riß das große Geigen ab. Nun griffen die arbeitslosen Konzertmeister zu sperrigeren Beständen, fältelten Perserbrücken zum Kissenformat, stopften entrahmte Bilder in Rucksäcke oder, falls Nachwuchs vorhanden, wasserdicht unter die Matratze im Kinderwagen. Andere trugen Kleinmöbel ungeniert geschultert und behaupteten bei Kontrollen, sie zögen um. Hinaus aufs Land, versteht sich.
    Für den Rückweg empfahl es sich, die mitgeführten Naturalien unter wehendem offenem Mantel, girlanden- haft am Körper verteilt zu tragen. Bloß keine Aktentasche, dieses schon klassische Requisit des fliegenden Händlers! Weil alle nicht genug hatten, konnte keiner genug kriegen. Die bäuerlichen Empfänger echter wie falscher Perlen städtischer Wohnkultur tauschten nicht nur Ewiges gegen Vergängliches ein. Auch sie wurden mit steigender Nachfrage wählerischer und im Rentabilitätsdenken kreativ.
    Die städtischen Kunden begannen untereinander zu fragen und zu klagen:
    Was macht denn deiner?
    Der legt sich grad den Kuhstall mit Perserbrücken aus. Hat meiner schon. Der hört jetzt ganz auf.
    Das ist ja furchtbar.
    Nächste Woche schlachtet er die letzte Sau und geht dann in den Antiquitätenhandel.
    Manche Bauern, anfangs anfällig für Glanz und schöne Form, drehten den Spieß um. Sie fragten den Städter, ob er beschaffen könne, was ihnen wirklich fehlte. Das hatte weniger mit Kunst, um so mehr mit Bau und Installation zu tun. Wer fortan Butter brauchte — die er auf dem Schwarzen Markt weniger mühsam bekam — trug seinen Samowar zum Elektriker und von dort den gewünschten Leitungsdraht auf den Bauernhof.
    Solche Umstände blieben Vorzugskunden erspart. Wenn etwa der Oberleutnant aus dem Ersten Weltkrieg zu seinem ehemaligen Burschen auf den Hof kam, wurde erst einmal beim Schnaps in der Stubn geratscht. Dabei fiel auf, wie der Umgang mit den Städtern die bäuerliche Sprache zu verändern begann. Fremdwörter schlichen sich ein, deren Bedeutung heute auf dem Land allgemein geläufig ist. Damals jedoch wurden sie noch in Aussprache wie Sinn mit vollem Risiko eingesetzt.
    Nach dem obligaten Ratsch zeigte ein ehemaliger Putzer seinem früheren Offizier voller Stolz das im Stall frisch angeschlossene Waschbecken mit fließendem Wasser: »Sigst as. Jetzt kann i mer abends, nach der Arbeit, den ganzen Dreck und Imstinkt obawaschn .«

    Nicht jeder Teppich, der den Weg aufs Land oder zu einem Schieber in der Stadt nahm, stammte aus der eigenen Familie. Neue Herren tauchten auf und bezogen alte Villen. Niemand kannte sie, niemand wußte, woher sie kamen. Aber sie hatten Geld, als wäre ihnen eine Regimentskasse in den Schoß gefallen.
    Manche bauten sich so still eine Existenz auf; andere holten in nicht zu übersehender Weise das Leben nach, das zu führen ihnen bisher verwehrt gewesen war. Sie eröffneten ein Geschäft oder gründeten eine Firma und exerzierten als erstes ihren notleidenden Landsleuten vor, was später, in der Restaurationswelle schier zur deutschen Pflichtübung werden sollte: sie demonstrierten großbürgerlichen Wohlstand mit Antiquitäten, Wappenring und nagelneuer Tradition.
    In Angelegenheiten, die eine dieser neuen Firmen abwickelte, sprach eine alte Dame aus bekannter ortsansässiger Familie vor. Irgend jemand hatte ihr geraten, sich dorthin zu wenden. Der Name des Chefs sagte ihr nichts, die Adresse allerdings hatte sie aufhorchen lassen. Eine sogenannte gute Adresse, in bester Wohnlage. Nachgerade peinlich unterschied sich die frischgestrichene und renovierte Villa vom Bauzustand der Nachbarhäuser. Nicht nur das. Es weckte in der alten Dame Erinnerungen an Kindheitstage. Hatte nicht hier ihre jüdische Schulfreundin Esther gewohnt, die später spurlos aus der Stadt verschwand? Ob emigriert oder abgeholt, war

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