Der Sieg nach dem Krieg
ziseliert, im Arm, ein zierliches Louis-seize-Tischchen. Sie trugen sie aus Häusern, die von der Besatzungsmacht beschlagnahmt waren, und schämten sich nicht. Warum auch? Sie hatten den Siegern nichts gestohlen, was diesen tatsächlich gehört hätte, waren vielmehr damit belohnt worden oder hatten sich die Belohnung erbettelt, die im Grunde auf einen Tausch hinauslief: Jugend gegen Altes.
Hingabe ist Privatsache, und Gier allemal ehrlicher als Heuchelei, selbst wenn die Form provoziert. Tatsachen schaffen Klarheit, und Leichtsinn treibt in Notzeiten keineswegs nur verwegene Blüten. Wo Konventionen dagegensprechen, gibt es durchaus einleuchtende Gründe dafür. Wer konnte es dem Mädchen verübeln, das den Luxus normaler Verhältnisse in einem ganz normalen Verhältnis suchte? Die ehemalige gnädige Frau, dank deutscher Ehre viel zu lang allein, warum sollte sie sich einer sympathischen Versuchung verweigern, da sowieso nichts mehr galt, was bisher gegolten hatte? Wer wollte die junge Frau verurteilen, die seit Jahren für kleine Kinder und alte Eltern die ganze Last der Versorgung trug, wenn sie sich in den Arm nehmen ließ, um aus Stunden des Vergessens neue Kraft zu schöpfen? Gelegenheit macht Liebe, und ein problemloser Sieger hat eben mehr Sexappeal als ein enttäuschter Held, der Selbstmitleid vorschiebt, um versagen zu können.
Gewiß ist das Öffnen der Schenkel im Liegen kein Victory-Symbol, wie es Churchill mit Zeige- und Mittelfinger reichlich strapaziert hat, ist Lustbereitschaft kein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, sozusagen im Nachhinein. Es gab geschmackvollere Wege, als morgens mit Zigarette im Mundwinkel aus besetzter Villa tretend, die jüngste Trophäe, eine lange Perlenkette aus Beutebeständen, wie ein Lasso um den Finger mit dem roten Nagel kreisen zu lassen, gleichsam um den Bürgern zu zeigen, wie man deutsches Kulturgut mit sogenanntem undeutschen Verhalten zurückerobert. Aber war jene Perlenkette, sieben Jahre früher der gleichen Frau vom Gatten nach einem Seitensprung versöhnungssüchtig um den Hals gelegt, moralischer? Vielleicht verhalf die zweite, auf dem Schwarzen Markt in Vitaminbomben verwandelt, dem gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Spender der ersten wieder zu Kräften. Perlenketten haben besonderen allegorischen Reiz. Und sei es nur als Girlanden zwischen Victory-Schenkeln.
>Tageszeiten der Liebe<
M ein Drang zur Bühne wurde von einem Zufall begünstigt. In dem Haus, in dessen Fundament ich hauste, wohnte der Schauspieler Heinrich Sauer, ein großer, dunkler Mann mit verträumten Mandelaugen, gemeißelten Händen, ein mutmaßlicher Italo-Inder von verhaltenem Feuer und der Magnet fürs weibliche Publikum der Münchner Kammerspiele. Hei, wie er genannt wurde, trug einen kunstvoll geschlungenen Shawl, als sei er Sänger und müsse seine Kehle warmhalten. Er war der letzte Regieassistent des legendären Otto Falkenberg gewesen, dem das Theater seinen guten Ruf verdankte. Hei trat behutsam auf und leise. Oft wirkte er abwesend, als hätten Ideen Macht über ihn, die erst noch zu Ende gedacht werden müssen. In Wirklichkeit, beziehungsweise in der Wirklichkeit, dachte er sehr praktisch und taktisch. Lautlos gelang es ihm, mich in den Theaterbetrieb einzuschleusen, wo man keineswegs auf mich gewartet hatte.
Tageszeiten der Liebe hieß das Stück von Niccodemi, das er gerade mit Inge Birkmann spielte, dunkel auch sie, feingliedrig — ein undeutsches Paar auf der Nachkriegsbühne. Abstecher waren geplant, nach Landsberg unter anderem, in das uralte Theater. Wie die meisten Zwei- Personen-Stücke kam auch dieses nicht mit zwei Personen aus. Da gibt es dann Telefonanrufe, oder jemand klingelt und wird hör- aber nicht sichtbar abgefertigt, eine Stimme ruft einen Darsteller von der Bühne, Musik klingt auf, ein Geräusch schreckt die Akteure, — lauter unsichtbare Aufgaben, die Hei mir zur Bewältigung übertrug. Bis auf eine weibliche Stimme hinter der Bühne. Die hatten wir original dabei. Neben den Geisterauftritten oblagen mir die Reiseleitung, der Korb mit den Requisiten, sowie die sogenannte Inspektion, die Verantwortung für reibungslosen Ablauf der Vorstellung — ein Engagement auf Bewährung.
Bewußt wurde mir’s nicht und das war gut so. Man kann gar nicht wenig genug davon merken, wenn man gefordert wird, um krampflos zu bestehen. Nachträglich wurde klar, daß es vielen von uns ähnlich erging. Die blassen Aussichten, überhaupt
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