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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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der Freundin gab es von hier aus nicht. Wegen einer Brücke, die noch im Bach lag, mußten Reisende bis zum ersten Bahnhof dahinter laufen oder versuchen, von einem Autofahrer mitgenommen zu werden. Wenn gleich einer kam, war’s zeitlich zu schaffen. Entschlossen winkte das Mädchen auf dem Bahnhofsplatz mit dem Daumen, damals für Deutsche eine noch ungewohnte Bewegung. Ein amerikanischer Soldat stoppte seinen Jeep. »Whom do you work for ?« Trotz des Koffers dachte er, sie sei bei einer Dienststelle beschäftigt.
    »I’m on vacation ,« antwortete sie mit guter Aussprache. Ein Mädchen in Ferien — das gefiel dem Soldaten. Von Kopf bis Fuß musterte er sie. »That’s good. Come in.« Obwohl er ihr nicht völlig nüchtern erschien, nahm sie den Koffer auf und stieg ein. Sie konnte ihm unmißverständlich den Ort sagen, wo sie den Zug erreichen müsse. Die Fahrtrichtung stimmte, was sie beunruhigte, war die Hand auf ihrem Knie. Aber sie sprach ja englisch und verstand seine klare Frage: »Won’t you make a little love with me ?«
    Wortlos schob sie die Hand weg. Doch sie kam zurück und auch die Frage: »Why don’t you want do make a little love with me ?«
    Höflich aber bestimmt sagte sie, worum es ihr ging: »Because I want to catch the train .«
    Daß Männer in solchen Situationen wie Kinder fragen können, hatte sie zumindest schon gelesen. Seine verbale Armut überraschte sie daher nicht.
    »Why do you want to catch the train so quickly ?«
    Nun mußte sie Hilfstruppen auffahren. »Because my husband and my children are expecting me .«
    Die benannte Familie deckte sich wohl nicht mit ihrem Aussehen. Er blieb beim Soldatenthema Nummer eins: »Why can’t we make a little love ?«
    Sie blieb beim Fahrplan. »Because I want to catch the train .« »Oh dear !« Er lächelte wie ein lüsterner Vater. »It just takes five minutes .«
    Unnötigerweise fiel ihr der damals gängige Schlager ein:
    GlVE ME FIVE MINUTES MORE, ONLY FIVE MINUTES MORE...

    Sie verbarg ihre Angst, klammerte sich an den Fahrplan. »We can’t even spare those five minutes .«
    Ein böser Blick traf sie. Sein Gockelstolz war verletzt und konnte jeden Augenblick den Verstand abschalten. Statt zu betteln, stellte er Bedingungen: Ohne five minutes keinen Zug.
    Verzweifelt suchte die höhere Tochter ihr Heil in Fragen. »You mean it’s a condition ?«
    »Yes, it is.«
    Es gab keine Ausflüchte, kein kunstvolles Mißverstehen mehr. »You stop right here !« brach es aus ihr heraus. »I want to get off .« Sie erschrak vor der eigenen Intensität. Der Sieger hielt tatsächlich. Auf freier Landstraße stieg sie aus und schleppte den Koffer mit dem Kraftzuwachs des Schreckens zum Bahnhof zurück. Der Schreck ließ nach, damit aber auch die Kraft. Keine five minutes waren vergangen, da mußte sie die Last absetzen und verschnaufen. Militärfahrzeuge ratterten vorbei, doch keines hielt, glücklicher- wie unglücklicherweise.
    Und dann: ohne daß sie ihn kommen gehört hätte, stand plötzlich ein Jeep neben ihr. Nicht irgendein Jeep mit irgendeinem Soldaten — der gescheiterte Sieger hatte umgedreht und winkte ihr, sie möge wieder einsteigen.
    Was sollte sie tun? Hoffte er nach Fußmarscheinlage und endgültig versäumtem Zug auf mehr Entgegenkommen, oder bereute er sein Verhalten? Unschlüssig stand sie auf der Straße und versuchte, an seiner Miene Absichten abzulesen.
    »Come in!« Sein Grinsen hatte nichts Lüsternes mehr, eher Bubencharme, sie griff nach dem Koffer.
    »I’ll bring you to your family .«
    Sie ließ den Griff wieder los. Hatte ihn ihre Notlüge überzeugt oder war’s nur ein plumper Trick? Die Gelegenheit, hier weg und dem Ziel näher zu kommen, durfte nicht vertan werden. Alles weitere würde sich finden. Sollte er unterwegs seinen Wunsch erneuern, traute sie sich zu, auch ein zweites Mal mit ihm fertigzuwerden.
    Sie stieg ein, er wendete und schaltete, ohne Übergriffe auf ihr Knie. Seine erotischen Energien waren voll aufs Gaspedal umgeleitet, denn er fuhr, als wolle er sie in five minutes zu ihrer Familie bringen. Schwankend zwischen Besorgnis wegen des Tempos und der Ungewißheit, wohin die Fahrt tatsächlich gehen sollte, warnte sie ihn vor dem weiten Weg. Der Bahnhof in Hamm würde auch genügen. Er schüttelte den vom Fahrtwind gut gekühlten Kopf und bestand auf der family.
    Von Besuchen im Internat, das sie mit ihrer Freundin absolviert hatte, kannte sie nur deren Mutter, wußte aber seit ihrem Wiedersehen auf

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