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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Schwaiger anschließend nach Hause und kam anderntags, nachdem er die sehr wichtige Sache erledigt hatte, zum Verbandwechsel. In der Teeküche der Klinik drückte er dem Herrn Doktor ein Paket in die Hand, ein gewichtiges Paket, ordentlich in Papier gewickelt und fest verschnürt. Das Plastikzeitalter war noch nicht angebrochen.
    Schnüre wurden damals nicht durchschnitten, vielmehr vorsichtig entknotet und zur Wiederverwendung aufgewickelt. Auch das Papier, in diesem Fall sogar Ölpapier, wurde geglättet und zusammengefaltet, obwohl der Inhalt alle Aufmerksamkeit abzog: ein, wie man in Bayern sagt, Mordstrumm Rindfleisch, gut zwei bis drei Kilogramm schwer. Für den Empfänger ein treffliches Mittel, eigenen Karbunkeln vorzubeugen.
    Herr Schwaiger erschien regelmäßig zu Verbandswechseln und brachte jedesmal etwas mit, wenn auch kleinere Portionen. Das bayrische Naturell bietet wirksamen Schutz vor Aufdringlichkeiten, ohne daß der menschliche Kontakt deshalb zu kurz käme. Herr Schwaiger wurde zusehends zutraulicher und rückte, nachdem er ein saftiges Fundament gelegt hatte, mit einer Bitte heraus.
    »Sie, Herr Doktor, i bräucht’ unbedingt a Flaschl Äther .« Die Frage des Arztes überraschte ihn nicht: »Aber Herr Schwaiger, für was brauchen Sie denn Äther ?«
    Vertrauen wird auch im Voralpenland durch dringende Bedürfnisse beschleunigt. »Ja, wissen’S Herr Doktor, i geh allweil aufs Land raus zum Schlachten. Da hätt i morgen a Sau auf am Bauernhof, wo recht viel Flüchtling san. Und wenn die Sau schreit, dann laufen alle z’samm und wolln vui z’vui von dem Fleisch, weil’s den Bauern sonst verpfeif n .«
    Das Kopfschütteln des Arztes machte ihn nach seinen Vorleistungen stutzig, zum Glück lächelte der dabei.
    »Also Herr Schwaiger, Äther ist da absolut ungeeignet«, sagte der Arzt und erklärte in volkstümlicher Weise, warum. »Sehen Sie, als Student habe ich einmal in der Gerichtsmedizinischen eine Leiche gesehen. Der Mann war während der Narkose gestorben. Beim Sezieren hat die Leiche stark nach Äther gerochen. So würde auch die Sau riechen. Darum mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag: Ich schreibe Ihnen ein Rezept für ein Schlafmittel, Veronal. Das besorgen sie sich und lösen zehn Tabletten in Wasser auf. Gut umrühren! Und das geben sie der Sau, Herr Schwaiger, ich garantiere Ihnen, in einer halben Stunde merkt die nichts mehr .«
    Am nächsten Tag wäre kein Verbandwechsel fällig gewesen. Trotzdem kam der Herr Schwaiger. Diesmal wieder mit einem großen Paket: einem Schweinsschlegel. »Des hat hing’haut, Herr Doktor. Dank’schön für Ihren Rat. Und was i noch sagen wollt’: Könnten’S mir noch amal a Rezept schreib’n ?«
    Das Gewicht des Schweinsschlegels machte die Komplizenschaft unvermeidlich. Es blieb nicht bei diesem zweiten Rezept und infolgedessen auch nicht bei dem Schlegel. Der Austausch war bereits so selbstverständlich, daß der Arzt die Heilung der Wunde mit Sorge verfolgte. Würde Herr Schwaiger auch danach noch kommen? Oder würde er befürchten, die Schwestern und Kollegen seines Doktors könnten Verdacht schöpfen? Hatte er nicht gesagt, er wohne ganz in der Nähe?
    Am Tag der letzten Konsultation händigte ihm der Arzt ein letztes Rezept aus und stellte eine letzte Frage: »Sagen Sie, Herr Schwaiger, kann man bei Ihnen auch Fleisch kaufen? Ich käme gern mal vorbei .«
    Herr Schwaiger reagierte gemeinnützig. Er trat überhaupt sehr selbstsicher auf — ein Mann, der etwas zu geben hat und seinen Marktwert kennt. Man traf sich nun nicht mehr in der Klinik, sondern in einer bekannten Schwabinger Straße im dritten Stock, bei Familie Schwaiger. Erster Eindruck im Treppenhaus: Kleinbürgermilieu, auch dem Geruch nach.
    Kunde Doktor läutete und wartete eigentlich auf eine dickliche Frau mit Schürze, nicht auf einen jungen Mann in amerikanischem Uniformhemd und von samtschwarzer Hautfarbe. Noch bevor der Kunde auf Fremdsprache umgeschaltet hatte, erschien ein Mädchen, künstlich erblondet, mit roten Fingernägeln, eine Zigarette in der Hand. »Sie wollen sicher zum Vater«, stellte sie fest. »Moment.« In flüssigem occupation-english redete sie auf ihren Hausami ein, schob ihn in die Küche und verschwand in einem anderen Raum. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, drinnen die brav-bürgerlichen Ehebetten aus dunklem Fichtenholz, darüber goldgerahmt Jesus im Getreidefeld, den Blick leidvoll auf das Stilleben der Amateurprostitution gerichtet, auf die

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