Der Sieg nach dem Krieg
dem Tennisplatz, daß das Haus vor Verwandten überquoll. Dortgewesen war sie nie, kannte daher auch den Weg nicht. Hilfreich stand ein Wegweiser am Straßenrand, ein Wink genügte, der Boy aus Übersee bog ab und raste wortlos weiter.
Als sie den Ort, ein kleines Dorf, erreichten, durfte sie keine Unsicherheit erkennen lassen und behalf sich mit geographischen Kombinationen: Die Freundin wohnte auf einem
Gut, also mußte die kleine Allee die Zufahrt sein. Sie hatte Glück. Auf dem Kiesweg zwischen Blumenrondell und Eingang endete die Fahrt; der Boy aus Übersee nickte beeindruckt.
Was macht ein wohlerzogenes Mädchen, das einen fremden Mann mit nach Hause bringt? Es geht voraus und sagt, um wen es sich handelt.
»What is your name ?«
Ihre Frage erschien ihm berechtigt.
»Gerry«, antwortete er und wirkte auf einmal gar nicht mehr so jung, wie er sich anfangs gebärdet hatte.
Das Tor wurde geöffnet, zwei Kinder kamen heraus, im Alter als eigene mit etwas Phantasie gerade noch vertretbar. Zufall und Sprachbarriere nutzend, eilte sie ihnen entgegen.
»Hört zu, ihr müßt jetzt Mami zu mir sagen !« belehrte sie die Kleinen und fragte, während sie sie küßte, nach der Mutter ihrer Freundin. Die Adresse stimmte. Das bestätigte ein alter Herr, der plötzlich vor ihr stand.
»Warum sollen wir Mami zu dir sagen ?« fragte der kleine Junge.
»So ist es lieb! Sag nur immer wieder Mami .« Sie tätschelte ihn, umarmte den alten Herrn und flüsterte ihm die Lage zu. Er war ein Onkel ihrer Freundin, wußte, daß sie erwartet wurde und spielte mit.
»Look father, this is Gerry, who brought me here .«
Der Leih-Vater sprach englisch und bat den Besatzer wie einen Gast ins Haus. Die Mutter der Freundin kam dazu, nannte das Mädchen beim Vornamen und mimte perfekt ihre Mama. Die zahlreich anwesenden Verwandten behielten ihre Rollen, nur der husband fehlte, der Ehemann, den Gerry unbedingt kennenlernen wollte.
Er sei geschäftlich unterwegs und werde gegen Abend zurückerwartet, schwindelte der Onkel und lenkte den Gast mit Gegenfragen nach seinem Leben in den Vereinigten Staaten ab. Gerry blieb zum Tee. Den Kindern spendierte er Schokolade, den Erwachsenen amerikanische Zigaretten. Wie immer, wenn man nicht alles versteht, wurde ausgiebig genickt und gestaunt. Schließlich zog Gerry Fotografien aus der Tasche und reichte sie in die Runde, von seinen Eltern im Mittelwesten, von seiner Frau und seiner Tochter in verschiedenen Entwicklungsphasen bis zum ersten Schultag, liebe, lächelnde Menschen und er unter ihnen arglos fröhlich in Zivil.
Höflich lobten alle die Bilder mit den üblichen englischen Adjektiven, die auch paßten, bis er sich bedankte und verabschiedete.
»It was nice to meet you ,« stellte der Leih-Vater an der Tür fest und drückte dem Gast die Hand.
Die wohlerzogene Schwindlerin brachte ihn zum Jeep und wollte sich ähnlich äußern, doch es kam anders.
»Ich dachte, ich hör’ nicht recht«, berichtete sie nach der Abfahrt im Wohnraum, wo man sich über die gelungene Komödie amüsierte. »Sagt der doch zu mir: Wenn sie mal verheiratet sind und Kinder haben, schicken Sie mir bitte ein Foto .«
Kavaliersdelikte
» N ackte Tatsachen« sind nicht notwendigerweise appetitlich. Nach dem Krieg litten auffallend viele Menschen an Abszessen, Hauteiterungen, Karbunkeln — eine Folge von Unterernährung und mangelnder Hygiene. Vor allem im Nacken setzten sie sich fest, und mancher Soldat, der sich inzwischen selbst entlassen hatte, begriff nachträglich, daß der Befehl, überall mit gewaschenem Hals zu erscheinen, keine reine Schikane gewesen war.
Freund Wolfgang säbelte in der Klinik täglich an deutschen Hälsen herum und staunte immer wieder über die Wunder der Natur. Manche Karbunkel waren zehn bis fünfzehn Zentimeter lang und sahen aus — um ein Sprachbild der Medizinerlyrik zu verwenden — wie der Ätna aus dem Flugzeug. Eines späten Nachmittags erschien der Herr Schwaiger, ein g’standnes bayrisches Mannsbild ohne hochdeutsche Ambitionen. Auch bei ihm hatte der nicht frische Kragen schmerzhafte Folgen hervorgerufen. Herr Schwaiger wollte unbedingt sofort verarztet werden, weil er am nächsten Tag wieder arbeiten müsse. »Eine sehr wichtige Sache«, wie er hinzufügte.
Da der Befund für sofortige Hilfe sprach, ließ ihn der Herr Doktor Chloräthyl einatmen und träufelte dann Äther nach. Anästhesisten gab’s noch nicht. Benommen aber von seinem Ätna befreit, ging der Herr
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