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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zerwühlten Kissen, die Uniformjacke über dem Fußende neben den Nylonstrümpfen.
    »Er kimmt glei«, meldete die Tochter auf dem Weg in die Küche. Dort schmiegte sie sich an den eroberten Eroberer und genoß seine dunklen Hände.
    »Ja, der Herr Doktor! Darf ich bitten .«
    In ärmellosem Pullover mit Krawatte und zurückgeklappten Manschetten stand Herr Schwaiger an einer offenen Tür und bat mit steif-generöser Geste, wie sie Minister beim Besuch ausländischer Gäste vollführen, einzutreten. Sein Blick streifte das Geturtel von Tochter und Liebhaber in der Küche sozusagen geschäftsmäßig, mit dem Ausdruck: Chef schaut ins Vorzimmer.
    Kunde Doktor trat in ein primitives Badezimmer, aus dem nur ein Stück herausstach, das heute als Rarität gehandelt würde: eine Zinkbadewanne, außen weiß, mit grünem Rand und bis zum Rand voll mit Fleisch, Fleisch, Fleisch. »I bin grad bei der Arbeit .« entschuldigte sich Herr Schwaiger und transferierte einige Kilo ins Waschbecken.
    Dem Kunden drängte sich die Frage auf: Wie bringt der Mann diese Mengen in die Stadt? Wo er doch auf dem Land schlachtet...
    Herr Schwaiger zeigte ein Unternehmerlächeln. »Wissen’S Herr Doktor, des geht alles mit’m Radi. Mir kannten uns ja a Auto b’sorg’n, aber die wer’n vui z’scharf kontrolliert. I fahr Überhaupts net, i schieb’ mei Radi mit dem ganzen Sach hint’ drauf. Drauß’ hab i meine Feldweg und drin meine Schleichweg, ‘s geht immer guat .«
    Lasten mit dem Fahrrad zu schieben, war die sicherste und verbreitetste Transportart. Der Doktor selbst hatte vor Kriegsende nach einem Bombenangriff Fensterstöcke der Staatsbibliothek, die auf der Ludwigstraße lagen, aufs Pedal gehievt und die übermannshohe Last nach Hause geschoben. Das Eichenholz heizte vorzüglich. Ein Fensterstock reichte im Badeofen für zwei heiße Wannenbäder. Herr Schwaiger hatte weiterhin Glück bei seinen Transporten, die neue Geschäftsbeziehung klappte. Zigaretten kamen dazu, Schweineschmalz, alles zu Vorzugspreisen, gelegentlich ein Rezept für Veronal. Bis sich die Nachfrage erübrigte.
    Fünf Jahre später kam der Herr Schwaiger wieder zum Herrn Doktor in die Klinik. Etwas Dringendes, das gleich gemacht werden mußte. Nicht wegen der Arbeit. Man kannte sich, sprach aber nicht weiter davon. Herr Schwaiger war nicht mehr der Herr Schwaiger, er war wieder der Schwaiger Schorsch, ein kleiner Mann, mit kleinem Horizont. Die Tochter sei verheiratet, erfuhr der Doktor ordnungshalber und stellte sie sich vor: entblondet, zur Fülle neigend, mit kurzen unlackierten Nägeln, eine biedere Hausfrau und mangels Neugier treu.

    Schwarzschlachten galt als gehobenes Kavaliersdelikt. Die Möglichkeit dazu, das Können und vor allem ein Tier zu haben, beherrschten zahllose Hungerträume. Eine besonders dreiste Variante erfand Egon. Er arbeitete bei den Amerikanern in der näheren Umgebung Münchens. Die Einheit, die ihn beschäftigte, hatte, wie alle Sieger, im Bedarfsfall besten Kontakt zur Bevölkerung. Der Chef der Truppe gab einer alten Kleinhäuslerin ein requiriertes Schwein bis zur Schlachtreife in Pension. Ganz offiziell. Das Tier wurde mit Kartoffelschalen und anderen Abfällen aus amerikanischen Küchen gefüttert.
    Hier sah Egon eine Schwarzmarktlücke: Parallelschlachtung. Was da zu der Frau hinausgekarrt wurde, reichte leicht für einen Mitfresser. Aber woher den nehmen? Nun verfügte der findige Freund über interessantes Tauschgut, wie zum Beispiel den raren und gefragten Motortreibstoff Benzin. Seine Beschaffungsmethode war ebenso einfach wie riskant. Er scheute sich nicht, nachts die Reservekanister abgestellter Jeeps anzuzapfen. Dabei ging er so geschickt vor, daß er nie erwischt wurde. Mit den abgesaugten Reserven gelang es ihm, in einem größeren Ringtauschverfahren ein Schwein zu erstehen, das er für sich nebst Anhang der Frau zur Mitmast in Pension gab.
    Beide Tiere, das offizielle amerikanische Schwein und das inoffizielle deutsche, legten friedensmäßig Gewicht zu. Bis zum Tag X. Ein Armeelastwagen holte die grunzende Amerikanerin. Ihren Schreien nach ahnte sie die Endstation. Mit der deutschen Sau durfte das nicht passieren. Sie mußte ebenso still wie unsichtbar bleiben. Einen Raum, um sie mundgerecht zu verarbeiten, gab es bei der Frau nicht. Egon kannte einen vertrauenswürdigen und sachkundigen Bauern, auf einem abgelegenen Hof. Leider wohnte er auf der anderen Seite der Isar. Das bedeutete, die Sau mußte über die

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