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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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was er für Englisch hielt, sie verstand nur das, was man in der Schule als solches ausgegeben hatte, doch der Regen besorgte die Verständigung. Die Fahrtrichtung stimmte, beide zeigten zufriedene Mienen. Wie das Wasser auf das Faltdach, prasselten Worte auf das Mädchen ein, von denen sie nicht eine Silbe verstand. Scheu, doch zu wohlerzogen, um ihm ihre Dankbarkeit vorzuenthalten, sagte sie einfach in gewissen Abständen höflich »yes«.
    Dem guten Buben schien das zu gefallen, er redete nicht mehr so viel, lächelte dafür mehr. Sie hätte nicht sagen können, wie er eigentlich aussah. Rechtzeitig machte sie auf die Ecke aufmerksam, wo sie aussteigen mußte, zweisprachig und mit den Händen. Doch er beließ den Stiefel auf dem Gaspedal, den Blick geradeaus gerichtet.
    Was sollte sie tun?
    Sie begann zu ahnen, was er vorhatte. Sie sollte rechtbehalten, er bog ab und fuhr schnurstraks in den Wald.
    Die schöne Feier im Familienkreis! Man würde sich Sorgen machen. Würde man das? Oder würde man annehmen, sie habe den Zug versäumt, was sich zwar nicht gehörte, aber passieren konnte in diesen Zeiten. Was ihr passieren konnte, wegen dieser Zeiten, durfte nicht sein. Keinesfalls. Der besten Strümpfe und des guten Kleides nicht achtend, ließ sie sich trotz Pfütze auf den Waldweg fallen. Die jungen Knochen federten den Aufprall ab, unverletzt rannte sie querwaldein davon.
    Gleichsam auf der Hinterhand, wie der Cowboy sein Quarterhorse, wendete der böse Bube den Jeep, verfolgte sie mit seinen Pferdestärken, soweit es die Stämme zuließen, und setzte dann die Verfolgung zu Fuß fort. Von fern ein Märchen im Regen. Rotkäppchen schlug Haken und täuschte, der böse Wolf keuchte. Es sah aus wie kindliches Spiel und war doch das erwachsenste von allen. Nach wilder Jagd blieb der Sieger Sieger. Unter dem eisernen Griff, mit dem er ihren Arm festhielt, raffte sie noch einmal alle Kalorien zusammen und schlug ihn ins nasse Gesicht.
    Nichts geschah. Nur der Griff an ihrem Arm löste sich. Nach der Schrecksekunde, die bei jungen Männern in nämlicher Lage ziemlich lange dauern kann, grinste er wieder wie zuvor am Bahnhof und rief: »You have won !«
    Diesmal verstand sie ihn. Zumindest atmosphärisch. Stumm gingen sie nebeneinander her. Beim Jeep angekommen, sagte er noch etwas, das sie auch sofort verstand: »Your’re a good girl !« Mit einem Lächeln, wie man es Minderheiten zuteil werden läßt, gab er ihr eine Tafel Cadbury-Schokolade und brachte sie, diesmal mit beiden Händen am Lenkrad, ans Ziel.
    Für die versammelte Familie war ihr Aussehen ungeeignet, zum Glück sah eine Gleichaltrige sie kommen, schleuste sie unbemerkt ins Haus, besorgte ihr ein Kleid, trockene Schuhe und Strümpfe. Sie bedankte sich spontan. »Dafür bekommst Du meine Vergewaltigungsschokolade .« Niemand hatte etwas bemerkt. Nur der Jubilar machte, als sie eintrat, seine unvermeidliche Bemerkung. »Sieh an! Zu spät, wie immer.«

    Es wäre unsozial, hätten höhere Töchter besondere Schutzengel.
    Als 1946 der Zugverkehr in den westlichen Besatzungszonen von Monat zu Monat reibungsloser abrollte, gestatteten treuherzige Eltern einer hübschen Tochter, ihre beste Freundin zu besuchen. Wie zu normalen Zeiten. Mit dem Nachtzug durfte sie nach Dortmund abdampfen. Es gab schon wieder sportliche Veranstaltungen, und da die Freundin eine talentierte Tennispielerin war, nahm sie an einem Turnier teil. Dort wollten sie sich treffen und am Abend gemeinsam zum Wohnsitz der Freundin fahren, der außerhalb der Stadt lag.
    An einem strahlenden Sonntagmorgen kam das Mädchen aus München in Dortmund an und gelangte, wie brieflich abgemacht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Tennisclub. Es war ein herzliches Wiedersehn. Die Freundin hatte gerade Pause und wußte vor Freude nicht, wo sie anfangen sollte zu erzählen. Doch bald wurde sie einsilbig. Ein Match ihrer schärfsten Konkurrentin lenkte sie ab. Die Freundin aus München konnte dem Turnier keinen Reiz abgewinnen. Nachtfahrt und mangelndes Interesse für den weißen Sport ließen sie reichlich gähnen. Bis zum letzten Spiel der Freundin würde es noch Stunden dauern. Warum fuhr sie nicht voraus, zu deren Eltern?
    Die beiden Mädchen einigten sich auf diese Lösung. Wie immer ging die Rückfahrt schneller, auf dem Bahnhof stand der Personenzug bereit, als habe er auf sie gewartet. Leider war’s der Falsche. Das stellte sich in Hamm heraus. Also umsteigen. Eine direkte Verbindung zum Wohnort

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