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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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beobachtet. Mein Akkordeonkasten war nicht zu übersehen. Umkehr hätte uns beide in Gefahr bringen können. Ich mußte mir etwas einfallen lassen, hielt das für möglich und legte den Arm um ihre Schulter. Private Beziehung sollte verständlich machen, wieso sie mich abgeholt hatte. Im Lokal verstummten Gespräche, als wir eintraten; Blicke von Freunden schrien mich förmlich an, blitzten warnend zu den drei Fremden, deren Funktionärsausstrahlung sie noch mehr verriet als ihr Mützenhaarschnitt. Mit Blicken funkte der Oberfunker zurück: Keine Sorge, Freunde, ich weiß Bescheid!
    Ich trat die Flucht nach vorn an. Zögern konnte meine Lage nur verschlechtern. Mit dem Akkordeon als Brustwehr kletterte ich laut verkündend auf die Bühne: »Und jetzt, Freunde, wie immer unsere Schnaderhüpferl-Serie !«
    Die Freunde verstanden. Ein Beifallsorkan brach los, als seien meine Schnaderhüpferl der unübertroffene Höhepunkt dieser Abende. Meinen Einfall verdankte ich einer Beobachtung. Wenn einer etwas, das er gar nicht kann, so darbietet, als beherrsche er es perfekt, ist ihm Gelächter sicher. Bei mir war’s, wie gelegentlich erprobt, das Jodeln, bei dem ich meine Unfähigkeit am überzeugendsten ausspielen konnte. Ich jodelte, und die Freunde retteten mich mit unmotivierten Lachsalven, wie sie bei Fernsehshows nicht aufdringlicher zugespielt werden können, ja sie griffen sich die Nazis, um mit ihnen zu schunkeln, — eine Frohsinnsvariante, die es hier nie gegeben hatte.
    Die drei hielten das offenbar für jene Spontaneität des heiteren Künstlervölkchens, von der sie schon gehört hatten und vergaßen darüber ihren Befehl zum Argwohn. Am Schluß schwappte Getrampel, wie schwere Brecher über die Bühne.
    Ich schmeckte der täuschenden Wonne nach und hängte eine kleine, unverfängliche Jazzparodie dran, denn davon mußte ihnen ja etwas zu Ohren gekommen sein, Freunde schauten anfangs besorgt, spendeten dann aber um so zügelloser Beifall. Ich tropfte unter der Uniform, wie nach einer Äquatortaufe. Ein Gestapomann klopfte mir auf die Schultern: »Sie gehören zur Truppenbetreuung !«
    Die Kellnerin kam und küßte mich aufs Haar, dort, wo die Rose gesteckt hatte.
    Doch Pech im Glück: die Nazis, weit über das Niveau von Kameradschaftsabenden amüsiert, wollten und wollten nicht gehen. Bis lange nach Mitternacht mußten wir unsere Rollen als völkisch zuverlässige Künstlerschaft weiterspielen, mit einem Wortschatz, den wir nur aus der Zeitung kannten.
    Auch im Weinbauer sang ich die jiddische Version. Um gerade bei diesem Lied die Freiheit zu fühlen. Die war hier, wie der Beifall bewies, etwas völlig Selbstverständliches. Rex Stewart persönlich löste mich ab. Er machte Fässer auf, daß uns die Luft wegblieb, vor diesem gewaltigen Atem.

Love Story

    E rst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. — hier hat Bert Brecht nicht recht. Es gab viele Mädchen, die ohne Zögern ablehnten, wenn der volle Teller vom Spender mit einem bestimmten Nachtisch verbunden war. Und es gab Spender, Deutsche, die immer friedensmäßig zu essen hatten, während des Krieges wie danach, ohne daß sie mit vollem Teller winkten, um zu dem bestimmten Nachtisch zu kommen. Jedenfalls versuchten sie es nicht bei allen. Sie unterschieden zwischen jungen Damen und Mädchen, im Krieg eine verbreitete Einteilung, die auch nachher gültig blieb, wie immer in Krisenzeiten, wenn das Fressen zuerst zu kommen droht.
    Fritz war ein Mann, der unterschied. Er hatte beim Luftgaukommando die Marketenderwaren unter sich gehabt, jenen Vorratsraum, der geöffnet wurde, wenn hochdekorierte Flieger auf Heimaturlaub nach München kamen. Bei ihm holten sich die Herren Helden Champagner, französischen Cognac, Kaviar, Gänseleberpastete, Schokolade, Seife, Parfüm, alles, was sie benötigten, um zu dem bestimmten Nachtisch zu kommen. Oft konnte Fritz in seiner Rolle als Schutzonkel die dienstverpflichteten jungen Damen im Haus warnen, oder sie mit irgendwelcher Order verschwinden lassen, wenn die Herren Helden sie ins Visier genommen hatten.
    Aber auch ohne Besucher von der Front und später, nach der Befreiung, ließ er ihnen gelegentlich kulinarische Raritäten zukommen. Dabei unterlief ihm einmal in seinem Wohlmeinen ein Fehler. Ohne es zu wollen, spielte er Schicksal und wurde sozusagen zum Stifter einer Liebesgeschichte. Dazu wäre es nie gekommen, hätte Fritz nicht vorher, noch im Krieg, schon einmal Schicksal gespielt.
    München litt unter dem

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