Der Sieg nach dem Krieg
Bereitschaft, sie aufzunehmen.
Irene war klar, daß sie sich in Bill verliebt hatte. Eltern und Nachbarn hofften auf baldige Heirat. Die Hochzeitsnacht hatte bereits im Englischen Garten stattgefunden.
In diese rosarote Welt platzte ein Unerwarteter hinein, mitten in die Kaffeestunde ‘ Aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen, hatte er sich aufgemacht, das Mädchen wiederzufinden, das er verehrte. Die Bekanntschaft lag Jahre zurück. Er entflammte, sie gefror, ein Wangenkuß beim Abschied, wie man ihn Freunden gestattete, wenn sie zurückmußten an die Front, mehr war nicht gewesen. Obwohl ihn nichts zu Hoffnungen berechtigte, hatte er einige Feldpostbriefe geschrieben, bis der Kontakt abbrach. Das geliebte Mädchen , das zu Hause auf einen wartet, gehörte zum moralischen Rüstzeug, um die Gefangenschaft besser zu ertragen, auch wenn es sich um reine Wunsch Vorstellung handelte.
Nun saß er da, mit Hundeblick: Er habe ja sonst niemanden auf der Welt. Zu seinen Eltern in die Ostzone wollte er nach dem russischen Abenteuer verständlicherweise nicht. Ausgezehrt saß er da, vis à vis die Realität in amerikanischer Uniform und forderte stumm ein Recht, das nur in seiner Phantasie bestand.
Das Mädchen wehrte sich gegen die Belästigung. Was sollte sie tun, ohne ihn hängen zu lassen? Dableiben konnte er bei den räumlichen Gegebenheiten nicht, obwohl er genau das wollte. Er besaß noch Adressen von ehemaligen Kriegskameraden hier in der Stadt. Einer hatte sogar Telefon und da er sich freute, auch Platz. Bill fuhr den Nebenbuhler hin. Doch er kam täglich zu Besuch mit verschärftem Hundeblick. Zwar lehnte er Bill, den er für oberflächlich erklärte, ab, das hinderte ihn jedoch nicht, Zigaretten und andere Daseinserleichterungen anzunehmen.
Für Irene wurde der Zustand unerträglich. Hier der Heimkehrer ohne Beruf, ohne Tatkraft — da der Geliebte, der alles bieten konnte, was sich erträumen ließ — dazwischen sie, voller Schuldgefühl, für das sie nichts konnte. Dieser Hundeblick, den sie haßte, setzte sich in ihr fest und verführte sie zu einem seltsamen Vergleich: In New York erwarteten sie offene Arme und ein Rahmen, wie geschaffen, um die hiesige Misere zu vergessen. Oder hatte Bill übertrieben? Würde er drüben vielleicht anders sein als hier? Liebte sie ihn wegen des angenehmen Lebens, das er ihr zu bieten versprach? Wie würde das aussehen? Sie kannte die Welt nicht, in die er sie mitnehmen wollte. Konnte sie alles zurücklassen, Eltern, Freunde und das, was man so Heimat nennt?
Und immer wieder der Hundeblick.
Sie floh vor der Entscheidung, floh nach Norddeutschland zu ihrer Schwester. Aus der erhofften Klarheit durch Abstand wurde nichts. Lüsterne Ehemänner, die ihr auf privaten Einladungen begegneten, machten bürgerlich-schlüpfrige Anträge, riefen anderntags an oder kamen ins Haus. Sie fuhr zurück nach München. Vom Bahnhof rief sie Bill in seiner Dienststelle an. Doch er war nicht da. Er habe sich versetzen lassen, zurück in die Staaten — hieß es.
Tage später fiel die Entscheidung.
Der Spätheimkehrer hat nie erfahren, daß sein Sohn amerikanischer Abstammung ist. Mit einer Großmutter aus Heilbronn.
Nachholbedarf
F ür Privatfeste galt schon während des Krieges folgende Faustregel: Die Kümmerer kümmern sich. Der Schüchternste zieht das Grammophon auf, wechselt die Platten und Nadeln. Während des Abspielens zuckt er versunken im Rhythmus auf der Stelle, übersieht mit maliziösem Lächeln sämtliche Mädchen, so als reiche keine an den Reiz der Orchestrierung heran.
In unserer Clique verhielt es sich anders. Wir hatten Boris mit dem perfekten Partyservice, auch wenn es das Wort noch nicht gab. Der gewitzte Schwabe teilte die Feste folgendermaßen ein:
A Boris ist eingeladen B Boris und Plattenspieler sind eingeladen C Plattenspieler ist eingeladen
War nur sein Plattenspieler eingeladen, stellte er Bedingungen, meist in Form von Gefolge. Die Gastgeber mußten nachträglich Freundinnen und Freunde von ihm dazubitten. So kamen wir in die verschiedensten Kreise, dominierten manches Fremdfest und pflückten uns die Nettesten zu weiterem Amusement.
Boris überließ nichts dem Zufall. Schon am Nachmittag baute er seine Beschallungsanlage auf, besorgte noch Kabel, umging lästige Sicherungen. Seine Ankunft hatte etwas Exotisches. Da tuckerte eine Zweihunderter BMW mit Kardanantrieb zum Ort des Geschehens. Kaum jemand besaß ein Motorrad, geschweige denn Benzin und
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