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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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schlachten«, sagte der eine. »Ich wüßt vielleicht einen. Ohne Flüchtlinge«, erwiderte der andere.
    Sie verloren sich in Einzelheiten und klärten die Anteile. Von einer adeligen Familie war die Rede, deren kleiner, gleichwohl schloßartiger Landsitz besonders geeignet erschien, weil dort nur wenige und dem Alter nach jenseits von Gier befindliche Anverwandte des Besitzers wohnten. Man müßte einmal hinfahren und mit den Leuten reden. Man müßte einmal... hieß damals: sofort.
    Der Landsitz, im Raum Garmisch, lag selbst für wildestes Ochsengebrüll außer Nachbarhörweite. Bei Tee und Kaminfeuer trugen die beiden unter dem Gewölbe der Wohn- diele ihr Anliegen vor. Der steingefließte Raum erstreckte sich fast über die gesamte Hausbreite. Alte Möbel, viel Kleinsilber und Teppiche aristokratisch-konventionell angeordnet, verbreiteten Behaglichkeit. Von den Wänden schauten goldgerahmte Vorfahren auf die Künstler herab. Das Ansinnen, hier einen Ochsen zu schlachten, strapazierte die Kontenance nicht. Man hatte Kriegs wirr en erlebt, die meisten mehr als einmal. Der Hausherr fand die Idee gar fulminant, den Steinboden höchst geeignet. Auf Parkett schlachtet man nur in äußerster Not. Er hatte eine Idee. Das Gewölbe ruhte auf einer zierlichen Säule in der Mitte des Raumes. Da konnte man den Ochsen festbinden. Bedenken äußerte lediglich der Bildhauer. Aus der Kenntnis seines Arbeitsmaterials riet er ab. Die Säule trage praktisch das Haus und sei nach Material und Durchmesser wenig geeignet, um einem tobenden Ochsen den nötigen Widerstand zu bieten. Der Zeichner zerstreute die Zweifel. Ein Schußapparat stehe zur Verfügung, das bedeute, der Ochse sei praktisch schon tot, bevor er anfangen könne zu toben. Beide fanden Fürsprecher, schließlich entschied die Aussicht auf das Filet.
    Zum vereinbarten Termin waren Möbel und Teppiche entfernt. Nur die Ahnen an den Wänden blieben als Zuschauer. Pünktlich, trotz langen Anmarsches, führte der Bauer den Hauptdarsteller über die Terrasse herein. Ob es an den steinalten Verwandten, den beiden Künstlern oder den roten Fließen lag, blieb ungeklärt, jedenfalls schnaubte der entmannte Stier, rollte die Augen, so daß man schon um die Glastür fürchtete, und wollte sich nicht mehr beruhigen. Zwar gelang es, ihn mit beherztem Zugriff und allerlei Tricks bis an die Säule zu bringen, doch schon ging er die schlanke Stütze an, als sei sie ein Torero, und gebärdete sich angesichts des Schußapparates, den er zu kennen schien, wie ein Bulldozzer. Sein Stampfen ließ den ganzen Landsitz erzittern. Er schlug mit dem Schwanz nach einer Ahnfrau in weißer Perücke, verunreinigte den Boden, daß es nur so spritzte, brüllte und stemmte sich zur entscheidenden Kraftprobe gegen die Säule.
    Der Bauer hüpfte nach Anweisungen des Zeichners mit dem Schußapparat um ihn herum, der Bildhauer erinnerte daran, wie recht er mit seinen Bedenken gehabt hatte, während die Verwandten im Chor klagten, der Krieg habe das Anwesen nicht verschont, damit man es jetzt einem tobenden Ochsen opfere.
    »Binden Sie ihn los !« entschied der Hausherr, »sonst stürzt noch alles ein.«
    Als habe er jedes Wort verstanden, hielt der Kraftprotz im Toben inne, bis der Knoten gelöst war, galoppierte aus dem Stand auf die Terrasse, riß mit schleuderndem Heck eine Sitzgruppe um und hielt sich seine Verfolger mit rodeomäßigen Sprüngen vom begehrten Leib. Während die sich mühten mit kräftesparenden Finten ihrer wachsenden Atemnot Herr zu bleiben und mittels eines strammen Baumes doch noch an das Filet zu kommen, überspielte drinnen die Dame des Hauses Enttäuschung und verunreinigten Schauplatz mit Haltung: »Die Säule ist das tragende Element des Hauses. Hat auch der Architekt gesagt .«

Midnight in Munich

    A lles Unglück, das der Mensch mit seinem Kopf beständig anrichtet, muß er mit rhythmischen Schwingungen des Zwerchfells abfangen, um es ertragen zu können. Jedes Lebensgefühl äußert sich musikalisch. Priester und Schamanen versammeln ihre Gläubigen zu gemeinsamem Gesang, damit sich wieder einpendle, was Wille und Ehrgeiz einzelner aus dem Gleichgewicht gebracht haben. In Musik gehüllt sind wir nicht allein, in Rhythmus geborgen mit der Stimme als Ventil, halten wir alles aus. Singend gingen die Christen im Forum Romanum in den Tod. Regimenter und Armeen folgten ihnen, denn leider haben sich auch Politiker und Militärs dieses archaischen Rezepts bedient. Nationalhymnen

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