Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
und an den Scheibenwischern festgehalten.
    Im Weinbauer lief die Jam Session bereits auf heißen Touren. Die Nachzügler packten ihre Instrumente aus.
    »Küche Stube mit Starnberger Mittelteil !« weihte sie einer in das Geschehen ein. Die Information erübrigte sich, alle wußten Bescheid und machten sofort ein Faß auf.
    Solche Sprachbilder aus dem noch jungen Idiomfundus deutscher Jazzler erinnerten an den Jargon der ehemaligen Obergefreiten, den sie als legitime Erben weiterpflegten. Da gab es üppige Blüten, die für Laien entschlüsselt werden müssen, wie etwa diese: »Als der Bierfiedler merkte, daß sein Zahn auf dem Gartenzaun stand, hat er sich stocksauer in die Fichte verkrallt. Das war vielleicht eine Zentralschaffe .«
    Frei übersetzt ist damit ein Geiger gemeint, dem nicht entging, daß seine Freundin dem Harfinisten schöne Augen machte. Seine Eifersucht übertrug sich zur Belustigung aller auf sein Geigenspiel. Um im Bilde zu bleiben sägte er einen besonders herben Darm .
    Der vermeintlich innenarchitektonische Hinweis, betraf die Musik. Küche-Stube besagte, daß es sich um die sogenannten Boogie-Harmonien, um den Wechsel von Tonika, Unter- und Oberdominante handelte. Starnberger Mittelteil bedeutete freies Mitschwimmen im Harmoniepulk, wenn einem von dem Stück nur der Refrain geläufig war, bis man sich nach drei, vier Wiederholungen neben der Galionsfigur Rex Stewart auch in diesem Abschnitt zurechtfand.
    Es ging sehr demokratisch zu. Jeder durfte als Solist brillieren, nickte, wenn ihm nichts mehr einfiel, einem Kollegen zu, worauf der Einstieg und den nächsten Chorus oder deren mehrere übernahm. Je nach Anzahl der gerade Mitspielenden dehnte sich manche Nummer bis zu dreißig Minuten aus, und aus dem Schlußakkord zog einer mit der nächsten davon.
    Als in jener Nacht der heute wohlbestallte Bandleader Hugo Strasser — kein Turniertänzer, der ihn nicht kennt — mit seiner Klarinette Bei mir bist du Scheen intonierte, brannte die Begeisterung mit mir durch. Nach dem fünften Chorus stürmte ich zu den Profis, um mich als Sänger zu produzieren. Ich kannte neben dem englischen Originaltext die jiddische Version Bei mir biste mies...
    Mit diesem Stück verband sich eine Geschichte, die meine Einmischung erklärt. Sechs Jahre zuvor hätte es mir beinah die Versetzung zu einer Strafkompanie eingebracht. Ich war damals Oberfunker in der Münchner Nachrichtenkaserne und besuchte an den Wochenenden regelmäßig mit Freunden, die noch nicht eingezogen worden waren, Papa Steinicke, ein Schwabinger Lokal nahe beim Siegestor. Es gab dort eine Bühne, und wer Lust verspürte, trat auf. Der Protagonist des Etablissements hieß Walter Hillbring, Kabarettist und Schwabinger Original mit Picassoschädel, stets in elegantem Doppelreiher. Er rezitierte vorzugsweise Ringelnatz, sein baltischer Akzent war unüberhörbar. Unter anderen machte auch ich mit Lust und Akkordeon erste öffentliche Gehversuche als Artist. Meine Jazzparodien fanden ermutigenden Beifall und konnten, falls sich je ein Nazi in das Lokal verirren sollte, gerade noch toleriert werden. Parodie besagt ja, daß man sich angeblich lustig macht. Tatsächlich jazzelte ich, und das in Uniform. Die trug ich auch in jener langen Nacht, als mich, Stunden nach meinem Auftritt, Freunde baten, zum Ausklang noch einmal die geliebte verbotene Musik im Schafspelz der Parodie darzubieten. Am Tisch sitzend, entsprach ich ihrem Wunsch, versank mehr und mehr im Spiel. Ab und zu wurde mein englischer Gesang unterbrochen, wenn einer mich mit Alkohol neu auf tankte. Ein Mädchen steckte mir eine rote Rose ins undeutsche schwarze Kraushaar, ich dankte in jiddisch: »Bei mir biste mies, du host zwei linke Fieß, bei mir biste mies wie de Welt...«
    Freude macht unvorsichtig. Die Geschichte, daß da einer im grauen Rock der großdeutschen Wehrmacht jiddisch gesungen hatte, mit einer Rose im Haar, ging herum.
    Am darauffolgenden Wochenende zeigten sich die Folgen bereits hundert Meter vor dem Lokal. Die Kellnerin holte mich an der Trambahnhaltestelle ab.
    »Kehren’s schnell um! Die Gestapo ist da. Sie haben schon g’fragt, ob der Ziehharmonikaspieler wieder kommt .« »Gestapo ?« wunderte ich mich. »Woher wissen Sie das denn ?«
    »Das sieht man. Am Haarschnitt und an allem. Zu dritt san’s .«
    Wir wußten nicht viel von der Geheimen Staatspolizei, weil man sie ja nie sah. Es hieß nur, sie hätten ihre Spitzel überall. Wahrscheinlich wurden wir bereits

Weitere Kostenlose Bücher