Der Sieg nach dem Krieg
versuchten keine militärischen Umfassungsmanöver. Man sprach englisch und deutsch oder behalf sich mit Pantomime und fand einander sympathisch. Bei dem Angebot, sich nach Hause fahren zu lassen, zögerten die jungen Ladies. Fritz soufflierte sein Einverständnis durch Kopfnicken, er war in Sorge, denn die Bar füllte sich zusehends mit durstigen Männern.
Unter freiem Himmel kamen dann doch Bedenken auf. Wohin würde die Fahrt gehen? War der harmlos-fröhliche Ton nur Täuschung? Vielleicht lag es an der deutschen Mutter, daß der Fahrer alle Richtungsangaben befolgte. Die jungen Ladies wohnten im gleichen Haus und hatten den gleichen Gedanken: Wenn wir mitten in der Nacht mit dem Jeep Vorfahren, heißt es, wir sind Amiflittchen! Ausgerechnet diesen Satz verstand Bill — der mit der deutschen Mutter. Doch er gefiel ihm offenbar. Wie Komplizen fuhren sie an dem Haus vorbei und hielten erst um zwei Ecken. Bob’s Abschied fiel leichter, bei Bill mußte die deutsche Mutter noch einmal herhalten. Er wollte unbedingt erfahren, wie deutsche Familien leben, in dieser schwierigen Zeit. Irene, die an seinem Wissensdurst schuld war, löste das Problem: »Kommen Sie morgen zum Kaffee .«
»Okay.«
Der Jeep fuhr weg, Sophie schüttelte den Kopf.
»Dafür sind wir nicht um zwei Ecken gefahren, daß Du ihn ins Haus holst !«
»Warum nicht ?« fragte Irene. »Er will deutsches Familienleben kennenlernen, will sehen, wie es in deutschen Häusern zugeht. Außerdem ist er bei der Abwehr. Da wär’ es sehr dumm von uns, ihm den Wunsch abzuschlagen .«
Bill kam nach dem Mittagessen. Für die Mutter brachte er die Blumen der Saison — eine Dose Kaffee — mit und dem Vater eine Stange Zigaretten. Ohne sich zu wundern, begrüßte er die zahlreichen Nachbarn, die Irene eingeladen hatte, um ihnen das Maul zu stopfen. Nachbarinnen lauerten auf Blicke zwischen ihr und dem Amerikaner. Doch die beiden taten ihnen den Gefallen nicht. Alle rauchten. Auch die Nichtraucher.
Bill machte seine Sache ausgezeichnet. Er unterhielt sich mit allen, ließ Manieren, Bildung, Humor erkennen, gab sich zurückhaltend, dabei herzlich, und gewann mit dem langsam an der Zunge vorbeigerollten Satz »Hier ist es gemutlick!« aller Sympathie. Auch von seiner deutschen Abstammung erzählte er und sang plötzlich das in der amerikanischen Armee aus unerklärlichen Gründen wohl- bekannte Lied: Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren.
Vielleicht traf das auf Bob zu. Er war nicht mitgekommen, hatte sich mit Sophie, die ebenfalls fehlte, auch nicht anderweitig verabredet. Eine Nachbarin nützte den Besuch. Sie klagte über Mangel an Seife, guter Seife. Bill reagierte: Die könne er ihr mitbringen. Das heißt, wenn er wieder kommen dürfe.
Die Eltern des Mädchens nickten. Er sei immer willkommen. Aber bitte nicht mehr mit so kostbaren Geschenken. Von nun an kam Bill regelmäßig nach dem Mittagessen und fuhr gegen vier wieder weg. Er brachte die versprochene Seife mit und manches andere Nützliche. Immer saßen Eltern und Nachbarn mit am Tisch, man redete über alles mögliche und es war »gemutlick«. Den Deutschen fiel auf, daß er als Offizier des CIC nie ein Wort über KZ oder Kollektivschuld verlor. Sie schrieben das nicht seinem persönlichen Engagement zu, sondern meinten, er habe bestimmt Erkundigungen eingezogen und festgestellt, daß sie weder Schuldige noch Mitläufer des Nazi-Regimes waren.
Bill zeigte seine Neigung immer offener. Von Amerika erzählte er, von seiner Familie, seiner deutschen Mutter, mit der sich Irene bestimmt gut verstehen würde, von seinem Beruf bei der New Yorker Stadtverwaltung und seinem Talent für Glücksspiel, das ihm zu beträchtlichen Rücklagen verholfen habe.
Hierzu schwiegen die Eltern und die Tochter. Sein Angebot, ihr New York einmal zu zeigen, ließen sie offen. Dadurch entstand möglicherweise der Eindruck, sie habe hier eine feste Bindung, doch er fragte sie nie.
Schließlich schaffte es Bill, Irene aus dem Haus zu locken, um endlich mit ihr allein zu sein. Sie verstanden sich gut, trotz sprachlicher Schwierigkeiten und Fremdheit der Mentalität. Kleinigkeiten, wie gefahren zu werden, statt laufen zu müssen, machten das Leben angenehmer. Aus New York kam ein Brief der deutschstämmigen Mutter. Bill habe von dem reizenden Mädchen berichtet, das ihm begegnet sei, und sie wolle sie kennenlernen; Bill’s Schwester schickte ein Care-Paket und etwas Hübsches zum Anziehen, die ganze Familie lockte mit der
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