Der Sieg nach dem Krieg
dafür begabt, noch immer als ungemein nützliches Wesen.
Er ist so etwas wie eine künstlerische Chefsekretärin, die statt des Terminkalenders das Regiebuch führt, Positionen, Gänge, Verrichtungen der Schauspieler notiert, Proben ansetzt, Szenen abstoppt, den Regisseur mit Einfühlungsvermögen bei Laune und mit Kaffee bei Kräften hält, vor Zugluft schützt, an Wichtiges erinnert, von Nebensächlichem ablenkt, auf Fragen alles weiß, und ihn während des Inszenierens gegen Störungen sowie Ärger abschirmt. Einem ungeschriebenen Gesetz der Zeit zufolge, oblag es dem Regieassistenten darüberhinaus, Regisseur und Darsteller mit amerikanischen Zigaretten und anderen Daseinsfreuden zu versorgen — Konterbande für die Konzentration. Erich Engel, der Intendant, rauchte zuviel, Friedrich Domin, der den Prospero spielte, wollte ausschließlich Chesterfield, Maria Nicklisch, in dem Stück gar nicht besetzt, bevorzugte Camel und Kaffee. So wurde ich aus künstlerischen Gründen zum Schwarzhandel gezwungen, ein Gebiet, auf dem ich bisher trotz besten Willens versagt hatte.
Die meisten Regieassistenten lebten von dieser Nebenaufgabe; der Aufschlag, mit dem der Beschaffer die Ware weiterveräußerte, war eine Frage des Fingerspitzengefühls. Die Konkurrenz, in allen Bereichen des Hauses, schlief nicht. Wer zuviel verlangte, mußte auf die Dauer mit weniger auskommen. Diese Gefahr bestand für mich nicht. Der Blick ins Auge im Augenblick des Aufschlagens, bereitete mir derartige Pein, daß ich immer billiger wurde und damit immer gefragter. In meiner Eigenschaft als Regieassistent allerdings immer weniger.
Wenn ich meine künstlerischen Fähigkeiten nicht überzeugend darstellen konnte, so lag das dummerweise an meinen künstlerischen Fähigkeiten. Mich langweilte das Klassikergetöne zu bedeutenden Gesten, dieses Sich-hinwegmogeln über mangelnde innere Beteiligung, ich liebte griffige Texte, Sätze, wie Erich Engel sie sagte, der gegen wohlklingenden Leerlauf allergisch war. Dann zuckte er mit seinen nervigen, behaarten Händen, drehte den Asketenkopf wie suchend hin und her, vergewisserte sich, indem er die Textstelle halblaut wiederholte und unterbrach. Kühl, sachlich, bestimmt.
»Wenn’s auf der Bühne feierlich wird, ist immer was faul !« bemerkte er einmal. Ich schrieb den Satz sofort auf, statt eine wichtige Reaktion des Caliban im Regiebuch zu vermerken. Caliban ist bei Shakespeare ein Monster, halb Fisch, halb Frankenstein, das sich unter Alkoholeinfluß besonders schlecht benimmt — eine Rolle, die dazu verführt, dem Affen Zucker zu geben , wie die Schauspieler sagen. Carl Wery, der Darsteller des Caliban , hatte die Chance erkannt und ließ, zur Freude aller, nichts aus. Auch machte er Vorschläge, um die Rolle weiter auszubauen. Als auf der Probe wegen irgendeines Fehlers wieder einmal unterbrochen wurde, trat er an die Rampe und fragte ins Dunkel des Zuschauerraums: »Herr Engel, halten Sie es für wirkungsvoll, wenn ich an dieser Stelle rülpse ?«
Engel nahm die Zigarettenspitze aus dem Mund und rief höflich-akzentuiert hinauf: »Herr Wery, und wenn Sie auf die Bühne schissen, es würde nicht mehr auffallen .«
Die Probe ging weiter. Engel neben mir wurde unruhig. »Der Stefano muß doch auf dem Baum sitzen. Oder?«
Ich schrieb noch an seiner Bemerkung, hatte im Regiebuch diesbezüglich nichts eingetragen und sagte es. Auch das kommentierte er sofort. »Hassencamp, Sie sind mein schlechtester Regieassistent, aber mein bester Biograph .« Wenigstens konnte ich ihn mit Zigaretten und Kaffee zufriedenstellen. Irgendwie war ich durch irgend jemand an eine lukrative Adresse gekommen. In Schwabing, in der Simmernstraße — damals ein klingender Name wegen der Simmernschule, die von schwarzhandelnden Ausländern belegt und deshalb vor deutscher Polizei relativ sicher war. Doch nicht in dieses Paradies schickte man mich, sondern in einen Wohnblock, zu Maria. Auch ein klingender Name. Bei Maria gebe es alles, war mir versichert worden. Die Einweisung des neuen Kunden erfolgte formlos, »Parterre rechts. Die Wohnungstür ist immer offen. Sie gehen einfach rein, letzte Tür rechts .«
»Und was sage ich ?«
»Was Sie wollen. Daß Sie da sind, genügt. Maria ist sehr unkonventionell .«
Die Wohnungstür stand tatsächlich offen; in der dunklen Diele roch es undefinierbar, allerdings überwiegend unangenehm. Von gleicher Art war auch der Musikbrei aus verschiedenen Quellen, Gestalten standen herum,
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