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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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gespannt sein. Ging’s daneben, störte das auch nicht. Ob es wohl lustig werde, ob die richtige Musik vorhanden, die richtigen Leute da sein würden — solche Fragen stellten sich nicht. Es wurde gefeiert und man war dabei. Sozusagen aus dem Stand angaloppierend, stürzte man sich hinein. Mitten im Aufgalopp setzte die Musik plötzlich aus. Der Plattenspieler war neben einem Fenster aufgebaut; dort stand der Unterbrecher, den Tonarm noch in der Hand, schaute durchs Fenster hinunter auf die Straße und sagte mit Erschrecken in der Stimme: »Gleich wird’s klingeln. Ein Jeep ist vorgefahren .«
    Hinter den Stirnen purzelten die Gedanken. Was jetzt? Jeep bedeutet immer Schicksal. Aber wieso nachts? Military Police? Hausdurchsuchung? Verhaftung?
    Die Klingel traf uns wie ein Stromschlag, dann Schritte, jemand hatte aufgemacht, ein Mensch in Uniform stapfte die Treppe herauf, sah uns stehen, mit verlagertem Schwerpunkt, zum Teil noch in Tanzpose, wie Puppen, die im Schaufenster unbeschwerte Heiterkeit als Momentaufnahme vorführen. Für einen Augenblick erstarrte auch der Uniformierte, bevor er zu sprechen begann, in akzentfreiem Deutsch mit deutlich hessischer Färbung: »Ich hab’ euch tanzen sehen. Ich lad’ euch alle ein. Zu einer schönen Frau. Kommt !«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich auf unfolgsamen Beinen um und hangelte sich am Treppengeländer hinunter.
    Unser Aufatmen erinnerte an den Blasebalg einer Schmiede.
    »Ganz schön voll ,« sagte jemand, der in der Nähe gestanden hatte und fächelte mit der Hand unter der Nase.
    Ein anderer sagte nur ein Wort: »Emigrantenheimweh .« Niemand, der gefragt hätte: »Wohin will er mit uns? Ist da was faul? Ob wir lieber verduften ?«
    Vom Dialektanklang beruhigt und sowieso gewohnt, Anordnungen von Uniformträgern besser zu folgen, gingen wir, unter dem Nicken der Sippschaft aus allen Zimmern. Sie fand es ganz in Ordnung so.
    Obwohl wir erhitzt waren, bewirkte die Luftveränderung keine Lustveränderung. Auf der flachen Kühlerhaube des Jeeps hatte sich ein Mädchen niedergelassen, die Hand in die Taille gestemmt und lachte: »Einzug der Sieger .«
    »Okay .« sagte der hessische Amerikaner.
    Auf überquellendem Jeep, wie sie vor Jahresfrist zu Dutzenden in die zerstörte Stadt gerollt waren, holperten wir durch die noch immer zerstörte Stadt in ein Viertel, das nicht mehr dazugehörte, weil es heilgeblieben war. Unser ehemaliger Deutscher mußte ein zweites Mal fahren, obwohl sein Fahrstil schon bei der ersten Fuhre merkwürdige Aggressionen gegen Bordsteine hatte erkennen lassen.
    Ziel der Aussiedlerparty war eine Wohnung nahe beim Prinzregentenplatz, wo Hitler gewohnt hatte. Der ganze Wohnblock in der Lamontstraße, damals einer der modernsten, strahlte im Licht Tausender von Watt, so daß wir, deren Lebensrhythmus von Stromabschaltungen diktiert wurde, stehenblieben, wie Kinder vor dem Weihnachtsbaum. An sich hätten wir singen können, bis die zweite Fuhre eintraf.
    »Okay.« Unser amerikanischer Freund schloß auf. Im Treppenhaus empfing uns Saunatemperatur, ein nachgerade krimineller Luxus. Über dicke Treppenläufer kamen wir in die Wohnung der Freundin unseres neuen Freundes. Begrüßungsformalitäten und andere Fraternisationshemmnisse entfielen. Hier war eine Party bereits ersoffen und das gründlich. Des Anblicks betrunkener Menschen entwöhnt, sahen wir Amerikaner beiderlei Geschlechts in Uniform und in Zivil, zusammengesunken oder alle Viere von sich streckend, manche jenseits der Lallgrenze; die versprochene schöne Frau war nirgends zu finden. Sie hätte es auch schwer gehabt, bei der Konkurrenz von Buffet und Bar überhaupt bemerkt zu werden.
    Unser neuer Freund war schon wieder Luft. Nicht weil Gier uns überwältigt hätte, der Schritt von Entbehrung zur Überfülle vollzog sich wie ein laues Wiedersehen. Was da ist, ist da, was weg ist, vergessen. Die AFN- Platten, die wir vorfanden, entsprachen denen, die wir zurückgelassen hatten — das umgetopfte Fest ging weiter. Kein Jeep vor dem Haus konnte uns mehr erschrecken, kein Laborfusel die Sehkraft beeinträchtigen.
    Da wir nach Alter, Mode und der Kalorienspritze ziemlich wild tanzten, wurde mir bei der ungewohnten Raumtemperatur lästig heiß. Mit Schleudergriffen, Kreiseln und behender Beinarbeit manövrierte ich meine Partnerin in Richtung Bad. Unbeachtet verschwanden wir.
    »Schau mal«, sagte sie mit einer Kopfbewegung in den Spiegel, während wir uns am Doppelwaschbecken

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