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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Trauben nach Mitternacht weniger hoch hängen. Gelegentlich kamen auch Freunde von auswärts und übernachteten. Kein Problem in diesem vom Wohnungsamt offenbar vergessenen Dorado, in dem kein fremder Untermieter, keine Familie mit Kindern die intensive Geselligkeit störten.
    An Schlafgelegenheiten fehlte es im weitesten Sinn des Wortes nicht. Wer, vom Tanz erhitzt, ausruhen oder behutsameren Berührungen nachgehen wollte, konnte sich in schattiger Ecke ausstrecken. Für die Herren lagen Kissen zur Verfügung, die Weiblichkeit legte ihren Kopf auf den Bizeps des Partners, was eine gewisse Abgrenzung zum Nachbarn ermöglichte. Wenn sie ungeschickt lag und seine Hinwendung aus irgendeinem Grund lauwarm blieb, schmerzte der Muskel. Man streckte den Arm aus. Oft herrschte jedoch Enge unter den Zärtlichkeitsbedürftigen, die Hand konnte auf Berührung stoßen und diese mißverstanden werden, wie auch immer.
    So geschah es einmal, daß ein in Werbung verstrickter Nachbar meine Hand mit solcher Glut drückte, daß ich ihn als Mann erkannte. Da mein eigenes Engagement an diesem Abend dürftig war, ließ ich ihn gewähren, neugierig, wie ein anderer sein Begehren manuell darstellt. Er investierte viel Intensität und Einfallsreichtum. Einzeln streichelte er meine Finger, doppelseitig vom Nagel bis zur Wurzel, dann mit Hingabe die Kuppen. Offenbar hielt er sich für elektrisierend, dabei kitzelte es nicht einmal. Daraufhin schwebte er zart über meinen Handrücken und massierte mir an der Innenhand das Erosgebirge unterhalb des Daumes. Plötzlich packte er wild zu, hielt den Griff sekundenlang, zum Zeichen, daß im Bett sein Wille geschehe, nahm sich dann mit Zartgefühl die Fingerknöchel vor, und so fort. Erst als er über mein Handgelenk in die Behaarungszone vordrang, wurde ihm seine Fehlinvestition bewußt.
    »Du bist gemein! Läßt mich da Gefühle verströmen«, warf er mir später vor, mußte aber selber lachen, und wir hielten ein vergnügliches Seminar über Griffakribie ab.
    In den kommenden Jahren hat er sein Fingerspitzengefühl beruflich genutzt und es bis zum Botschafter gebracht.

    Mit fortschreitender Nacht leerte sich die schummrige Wohnung, nur der harte Kern schwang noch vor Ort nach. Man war voneinander abgekommen. Gleichmäßige Atemzüge, zum Teil mit Geräuschen verbunden, bestätigten Wohlbefinden. Auch die Wasserspülung wirkte dabei mit. Plötzlich klingelte es. Freund Mitea trat aus dem Kabinett und eilte zur Tür, um Wiederholung abzuwenden. Er sah wie der Schwerenöter im Stummfilm aus, trug einen breitgestreiften seidenen Pyjama, im Mundwinkel hing eine Zigarette. Ohne sie herauszunehmen, trat er auf den Vorplatz. Da die Treppe keine Biegung aufwies, sondern schnurgerade heraufführte, konnte er sofort feststellen, wer sich erdreistet hatte.
    »Ist meine Frau da ?« fragte der Störenfried im schäbigen Wehrmachtsmantel.
    Die Zigarette im Mundwinkel wippte unter dem harten Balkanakzent des Breitgestreiften. »Kommen Sie ruhig rauf .«
    Ohne seinen verschnürten Pappkarton hastete der feldgraue Odysseus über die Stufen herauf und hinein ins Schlafzimmer. Das weibliche Duo schreckte auf.
    »Gott sei Dank, du bist mit ‘ner Frau im Bett !« jubelte Odysseus. Daß dieser Umstand auch Gefahren bergen könnte, hatte er vergessen. Wie ein Besessener drückte und küßte er seine Penelope vollends wach.
    »Darauf muß getrunken werden !«
    Wieder dieser Balkanakzent, der dem Heimkehrer durch alle Glieder fuhr. Mit leichtsinnigem Lächeln stand der Breitgestreifte vor dem Bett. Von silbernem Tablett — einem Hochzeitsgeschenk — reichte er Sektschalen.
    »Glänzende Idee, Mitea !« lobte die andere Frau im Bett und setzte sich auf »Darf ich bekanntmachen: Mitea ist mein Mann...«
    Wir hatten im Wohnzimmer leere Gläser und volle Aschenbecher weggeräumt, Kissen aufgeschüttelt, Spuren beseitigt, die unnötige Schlüsse zulassen, und zum zweiten Mal in dieser Nacht wurde es ein sehr gemütlicher Abend. Bis zum Frühstück.

Die schwarze Maria

    N ach den Tageszeiten der Liebe standen bei den Kammerspielen im Schauspielhaus die Zeichen auf Sturm . Von Shakespeare. Was ich in Stuttgart verweigert hatte, war ich in München geworden — Regieassistent, und gleich beim Intendanten. Meine ungelernte Arbeit wurde in müder Reichsmark honoriert, die Summe reichte für ungefähr fünfundzwanzig Zigaretten im Monat. Von den damit verbundenen Schwierigkeiten abgesehen, galt der Regieassistent und gilt, sofern

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