Der Sieg nach dem Krieg
hatte. Es gab die Trauernden, geschlagen mit der Gewißheit des Verlustes; die Mitleidenden, die einem schwer Verwundeten das Dasein allen Umständen zum Trotz zu erleichtern suchten, oder einem Mitschuldigen der Vergangenheit die Treue hielten. Vergeßliche gab es, Bedenkenlose, die ohne Rücksicht ihren Vorteil suchten, Verbitterte, die sich nicht mehr zurechtfanden in der veränderten Welt, Mangel und Unvermögen mit erstarrter Haltung kompensierten; Ehrgeizige mit dem einen Ziel, alles Verlorene so schnell wie möglich wiederzuerlangen, noch besser möglichst, noch größer und damit die Restauration einleiteten; auch ewig Gestrige fehlten nicht, die sich als neuer Widerstand fühlten,, sich der noch funktionierenden Kameraderie des alten Parteiapparates bedienten, um unterzutauchen, sich gefälschte Papiere zu verschaffen oder einander über die Grenze zu helfen. Ihrem trotzigen Bekenntnis, man sei schließlich immer noch Deutscher, schlossen sich, weniger trotzig, Idealisten an, die beim Aufbau einer Neuordnung in Freiheit mithelfen wollten. Leiser traten die Geduldigen auf, Menschen, die aus mehr angelsächsischem Demokratieverständnis gelassen annahmen, was der Tag bot. Schließlich gab es die Nachholer, Individualisten zumeist, die gegen überpolitisierte Vergangenheit und deprimierende Gegenwart tapfer das Fähnlein der Fröhlichkeit schwenkten, aus dem Wunsch, endlich unbevormundet zu leben.
Sie alle sprachen dieselbe Sprache, und die verriet am meisten über die innere Lage der gevierteilten Nation. Sie war, mit einem Neuwort der Besatzer gesagt, noch nicht entnazifiziert. Parteigenossen und Nichtparteigenossen ließen sich beim Sprechen nicht zuverlässig auseinanderhalten. Dafür sorgte schon das Amtsdeutsch. Die Not wurde auf weitere Versorgungsperioden mit dem Wortschatz der braunen Bürokratie verwaltet: Empfangsberechtigte Normalverbraucher, Teilselbstversorger und Vollselbstversorger mit oder ohne Schwerarbeiterzulage mußten Bezugschein, Berechtigungsschein, Erlaubnisschein, Einweisungsschein oder den beliebten Persilschein vorweisen können. Ohne Dienstausweis, Dringlichkeitsausweis, Sonderausweis, Versehrtenausweis, Haushaltsausweis, Lebensmittelkarte, Kleiderkarte, Kinderkarte ging nichts. Wer keinen Nachweis vorzeigen konnte, bekam keine Genehmigung. Wo er auch vorstellig wurde, wurde er abschlägig beschieden. Mit der ganzen Härte des Gesetzes traf ihn das deutscheste aller Ordnungswörter — Verbot.
»Wenn das der Führer wüßte !« hatten die altgedienten Obergefreiten höhnisch geseufzt, wenn die Kacke am Dampfen war. Ihr Jargon schwelte unterbewußt weiter, als Medizin für die Seele. Er beruhigte, stärkte das Selbstvertrauen, machte solidarisch. Man wurde nicht gleich fickerig, sondern riß sich am Riemen: Halblang! Erst mal Marscherleichterung, seinen Kram auf Vordermann bringen und an der Matratze horchen. Dann Lage peilen.
Hatte man nichts aufs Brot, außer Anspruch und nur Ersatzkaffee Marke Westwall — uneinnehmbar — mußte man ein Brikett mehr auflegen und sich was organisieren , einfach mitgehen lassen. Bei Mädchen gleich mit auf Stube und auf Tuchfühlung — stur wie ein Panzer. Dann diesen — eine Handbewegung machte deutlich welchen — und den Nahkampf gegebenenfalls mit Mündungsfeuerdämpfer. Sonst lieber planmäßig absetzen, von wegen Nachtigall ick hör dir trapsen. Bedient war man ja schon genug, wollte eine möglichst ruhige Kugel schieben. Also: Holzauge sei wachsam!
Wie schon gesagt, haben die Jazzmusiker den Obergefreitenjargon weitergepflegt und weiterentwickelt. Die Schaffe, die Verlade, den steilen Zahn, auf dem man steht. Selbst ins Fernsehen hielt er Einzug, ziviler, eleganter, augenzwinkernd und schlagfertig sendete Hans-Joachim Kuhlenkampff nicht nur bei seinen frühen Eurovisionsspielen traumwandlerisch sicher auf der Stammfrequenz des ehemaligen Obergefreiten. Wer je den Doppelwinkel am linken Ärmel trug, kann’s bestätigen. Kreativer Umgang mit der Sprache, die Not gewendet hat, lotet tief in die Psyche. Gibt es eine solidere Grundlage für dauerhaften Erfolg? Damit bleibt Kuhlenkampff der deutscheste und gestandenste Showman .
Deutlich sei hier gesagt, daß der Obergefreitenjargon zwar während Hitlers Krieg entstanden ist, aber keinesfalls mit Naziideologie verwechselt werden darf. Da gab es nichts von bierernstem Führerkult mit Vorsehung und blauäugigem Durchhalte willen. Die Kreativität der Obergefreiten beschränkte sich auf das
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