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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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denen man lieber ohne Bargeld begegnet. Auf mein Klopfen an der letzten Tür rechts antwortete niemand. Ich klopfte beherzter und drückte schließlich die klebrige Klinke herunter: Einzimmerappartement würde man das heute nennen. Bettcouch, Wandschrank, Tisch, Sessel, fließendes Wasser.
    »Hallo.«
    Im Bett lag eine Frau mit fleischigen Armen, das Gesicht ins Zeitlose zerlaufen und mit Sicherheit nicht nüchtern.
    Neben ihr schnarchte ein Neger. Seine Uniform hing über dem Sessel. Mit einem >Hallo< meinerseits paßte ich mich an.
    »Im Schrank steht alles«, erklärte Maria und schob den Arm des dunklen Siegers, der sich anschickte, sie zu umfassen, wieder weg. Ich atmete sparsam, öffnete vorsichtig. Ordentlich über Bügeln hing Marias schrille Garderobe, in den Fächern daneben lagen Blusen, Pullover, Wäsche, wie von einem Feldwebel gestapelt. Das oberste durchgehende Fach barg die transozeanischen Schätze der Zeit.
    Ich wählte. Maria nannte zwischen Küssen Preise. Ihr Liebhaber kam mehr und mehr zu sich und damit zu ihr. Als ich das Geld nicht passend hatte, sagte sie mit verständlicher Ungeduld: »Die Candies zahlst du das nächstemal. Hau jetzt ab !«
    Ich mochte der Aufforderung nicht widerstehen, blieb aber fortan Kunde. Die Lage war günstig, die Preise ließen Spielraum, und wenn man das Glück hatte, im richtigen falschen Moment zu kommen, bekam man sogar etwas geschenkt.
    Da ich diesen Teil meiner Aufgaben so preiswert bewältigte, gestattete mir Erich Engel, als ein Schauspieler erkrankt war, mich auf der Bühne zu erproben, und das während einer Abendvorstellung. Um den Ablauf des Stückes durch meine Anwesenheit nicht zu stören, steckte man mich in ein Kostüm, zeigte mir einen Satz, den ich aus dem Regiebuch eigentlich kennen mußte und bat mich, ihn im richtigen Moment aufzusagen. Es können sogar drei gewesen sein. Ich mied Wohlklang und große Gesten. Das Publikum klatschte nicht bei meinem Auftritt, doch es pfiff auch nicht bei meinem Abgang. Man pfiff ja noch Deutschals Ausdruck des Mißfallens. Ich blieb unentdeckt, aber um eine Versuchung reicher.

    Maria wurde auch die Schwarze Maria genannt — eine irreführende Bezeichnung — die sich zur Madonna der Schieber glorifizierte. Eine Schutzheilige war die ebenso gutmütige wie geschäftstüchtige Kärntner Bäuerin gewiß nicht. Dazu fehlten ihr die zum Schutz anderer unerläßlichen Beziehungen. Ihre Karriere als Schwarzhändlerin hatte praktisch mit Eintreffen der ersten amerikanischen Waren begonnen.
    In unserer Clique sprach sie sich rasch herum. Wir schätzten Maria als eine Art illegaler Tante-Emma-Laden, wo’s dringend Benötigtes auch sonntags an der Hintertür zu kaufen gibt. Sie kannte ihre Stammkunden nicht nur dem Namen nach, sie wußte, was sie taten und wo sie wohnten.
    Zu ihnen zählte auch Peter Barthel, studierter Mediziner mit ererbter Druckerei, den sie besonders zu schätzen lernen sollte. Freund Peter war als Angehöriger der Dolmetscherkompanie im Wehrkreis VII bei der Freiheitsaktion Bayern, dem letzten aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, mit dabeigewesen. Der schneidige Einsatz dieser Männer unter Hauptmann Rupprecht Gerngroß hat die Stadt München in der Endphase des Krieges vor mancher sinnlosen Zerstörung bewahrt und bewiesen, daß es das andere Deutschland auch nach dem 20. Juli 1944 noch gab.
    Als Mann des Widerstands, selbst bei merkwürdigsten Überraschungen nicht schreckhaft, bewahrte Freund Peter angesichts des ihm nicht bekannten Boten, der eines frühen Morgens an seine Tür klopfte, ruhig Blut. Die Botschaft klang nach doppeltem Boden: Maria lasse ihn bitten, schnellstens zu kommen, um ihr etwas ins Englische zu übersetzen.
    Wenn’s eilt, oder Gefahr im Verzug ist, springt der Bayer in seine Lederhose. Mit diesem strapazierfähigen Kleidungsstück schwang sich der Peter aufs Fahrrad.
    Trotz der frühen Stunde war Marias Gemischtwarenladen bereits gut besucht. Ungefähr zehn Personen, teils Lieferanten, teils Kunden standen oder saßen herum und redeten alle gleichzeitig. Auf einmal wurde es schlagartig still. Vier der Besucher gaben sich als Kriminalbeamte zu erkennen und verlangten von allen die Ausweise.
    Weitere Kunden kamen herein, geschäftig, mit knappem Gruß, bis es ihnen die Sprache verschlug. Einige hatten ihre Papiere offenbar im Vorgarten versteckt, denn sie sprangen aus dem Fenster, andere schafften den Sprung nicht, konnten sich aber zitternd aus weisen und durften gehen.

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