Der Sieg nach dem Krieg
erklären?
Glücklicherweise waren einige der Engerln vom ersten freien Treffen im Himmel angekommen und zu Schutzengeln für ihresgleichen umgeschult worden. Sie bewirkten, daß das Fest ohne böse Spätfolgen blieb. Niemand sollte nach dem Zähler suchen, kein Beamter konnte dahinterkommen, daß er fehlte. Die schuldlos Schuldigen wurden von ihrer Last befreit. Sie mußten ausziehen. Das Haus, samt allen vorhandenen und nicht vorhandenen Installationen, wurde abgerissen.
Sorgen ganz anderer Art machte sich ein anderes Engerl, kurz nach dem ersten Treffen, wegen ihres Nikolausfreundes John. Dieser John, einer der ersten, dessen wirklicher Vorname in die knappe Besatzersprache desertierte, kam aus Niederbayern und hatte einen Schulfreund, einen Spezi — hier ist das Bayerische prägnanter — aus ungemein betuchter Familie. Der Vater des Spezi betrieb eine Großmühle. Dank dieser Verbindung konnte John Mehl beschaffen. Nicht wie wir, tüten weise, oder mal einen halben Sack, John ließ einen Lastzug anrollen, mit Anhänger. Schwarzhandel auf diesem Niveau erforderte Umsicht und kostete Zeit. Sein Engerl, bei dem er auch wohnte, sah John wenig. Zumal er außer ihr eine zweite Lieblingsbeschäftigung hatte, der er allein nachging: Skilaufen. Endlich blieb der Schnee liegen, die Geschäfte erlaubten eine Pause. »Muckerl, i muß zum Skilaufen !« eröffne te er seinem Engerl, packte die Skier und fuhr in sein erstes freies Wochenende.
Das Engerl, ein liebes, leicht zu leitendes, allein aber etwas hilfloses Muckerl, saß brav in der Wohnung. Freitagnachmittag läutete es an der Tür. Zuerst wollte sie nicht öffnen, stand aber dann doch auf, bevor das Sturmgebimmel andere Mieter im Haus stutzig werden ließ. Das mußte sie bei der Art von Johns geschäftlichen Aktivitäten vermeiden.
Draußen stand ein fremder Bursche, und verlangte in ländlichem Dialekt nach dem Abgereisten. Die Auskunft, die er bekam, machte eine Denkpause nötig. Prüfend sah er das Engerl an, beurteilte die Verhältnisse richtig und entschied sich nach vorsichtigen Andeutungen zum Klartext: »Der Lastzug is da. Drunt’ steht er. I komm am Montag wieder .« Bevor das überrumpelte Engerl Bedenken formuliert hatte, war er weg.
Ein Blick aus dem Fenster genügte, um das Muckerl vollends zu verstören. Der Lastzug, der da vor dem Haus stand, drängte nach Länge, Höhe und Breite nicht nur jedem Anwohner die Frage auf: Was tut denn der hier? Fahrzeuge dieses Kalibers hatten in der ruhigen Wohngegend nichts verloren. Übers Wochenende schon gar nicht. Deutsche Polizisten und jede Streife der Militärpolizei mußten Verdacht schöpfen. Wenn sie der Sache nachgingen, würde es an lieben Nachbarn, die bereitwillig Auskunft geben, wohin sie sich zu wenden hätten, nicht mangeln. Unbemerkt fährt ein solches Monstrum nirgendwo vor, und Johns Lebensstil, seine unbekümmerte Art, seine Geschäftigkeit, oft mehrmals am Tag mittlere Lasten in die Wohnung zu schleppen, hatten bei der Hellfühligkeit, die knurrende Normalverbrauchermägen erzeugt, seinen Ruf in eindeutiger Weise gefestigt. Als weitere Folge der unbekümmerten Art, die das Muckerl an ihrem John liebte, wußte sie auch, was der Lastzug geladen hatte.
Das gab den Ausschlag. Hier zu sitzen und auf das nächste Klingeln oder Klopfen zu warten, ging über ihre Kräfte. Wohin? Jetzt brauchte sie einen wahren Freund. Die Fotografin und ihr Nicolausio beruhigten das verschreckte Engerl, bewirteten und beherbergten es über ein endloses Wochenende. Am Montag, erst gegen Mittag schlich das Muckerlengerl zu ihrer Straße. Vielleicht war der Unbekümmerte schon zurückgekehrt. Vorsichtig schaute sie um die Ecke. Der Lastzug stand noch da. Auf dem gegenüberliegenden Gehsteig ging sie vorbei; die Planen waren verschlossen, nichts deutete auf eine Kontrolle hin, kein Anwohner, kein Passant waren zu sehen. Sie huschte ins Haus. Keine Spuren an der Wohnungstür deuteten auf gewaltsames Öffnen, zweimal mußte sie den Schlüssel umdrehen. Auch drinnen war alles so, wie sie’s verlassen hatte.
Das Engerl sank in einen Sessel, da klingelte es. Hatte sie doch jemand beobachtet? So zu tun, als sei sie nicht da, konnte ihre Lage nur verschlechtern. Mit zusammengekniffenen Sitzmuskeln öffnete sie die Tür. Der Fahrer war’s. Er hatte im Führerhaus gesessen und sie erkannt. Sie ließ ihn herein. Zu zweit auf John zu warten, erschien ihr sicherer. Damit die Zeit vergehe, tischte sie dem Burschen auf, schenkte
Weitere Kostenlose Bücher