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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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längst geläufig. Bradley hieß er, wie aus dem Dialog bei der Übergabe hervorging, und sprach leidlich deutsch. »Nehmen Sie sich Platz .«
    Mit frisch gestärkten Vertrauen in die Demokratie, trug der Delinquent seinen Fall vor, gestand ruhig, wie unter Gentlemen üblich, seine Beteiligung an dem Sacharintransport, und nannte den gewünschten Namen. Karajanoff sei ein alter Freund, fuhr er fort, dem er geholfen habe, als der Bulgare noch für die deutsche Kriegsindustrie hatte arbeiten müssen , trotz Unterernährung. Jetzt revanchiere er sich. In einem zu Herzen gehenden Stegreifplädoyer schilderte er die Lage dieser armen Versprengten aus den Oststaaten, die ohne Kontakt zur Heimat, wo sie auf der schwarzen Liste stünden, ohne Beruf, ohne ausreichende Sprachkenntnisse, ganz auf sich gestellt, förmlich zum Schwarzhandel gezwungen seien, um zu existieren. Captain Bradley nickte mitfühlend-demokratisch. Er sehe die Härte ein, doch Befehl sei Befehl. Er müsse den Fall weiter verfolgen, wenn auch nicht unverzüglich. Mit diesem Wink erhob er sich hinter seinem Schreibtisch. »Sie können gehen .«
    Ein langer Blick. Sieger und Besiegter hatten einander verstanden. Bei Karajanoff, den Freund Jörg unverzüglich in der Schwabinger Isabellastraße aufsuchte, dauerte es etwas länger. Zuerst überschüttete der seinen Kollegen mit Vorwürfen. Nicht allein. Sämtliche Bulgaren, die mit ihm die Wohnung teilten, sahen sich durch den vermeintlichen Verrat in ihrer Existenz bedroht. Verständlich, in ihren Zimmern lagerte zentnerweise schwarze Ware. Ein weiteres Plädoyer war fällig. Über den Menschen in Captain Bradley, seinen unbezahlbaren Wink, dem sofort entsprochen werden müsse. Mehrmals wiederholte Freund Jörg den Wortlaut, bis sie ihn verstanden.
    Aber wohin mit den gehorteten Gütern?
    Improvisation ging vor Diskussion. Sie räumten die Verstecke und warfen alles zum Fenster hinaus in den Lichthof des überbelegten Mietshauses. Tabak, Schokolade, Nylonstrümpfe, Butter, Zucker, Stoffballen, Reis, Seife, Ledersohlen, Milch- und Eipulver. Glühbirnen, Uhren, Spirituosen ließen sie in Schachteln an Schnüren hinunter. Aufgeschreckte Mieter im Haus schauten nach, was sich hier tat, schlossen aber die Fenster sofort wieder, um nichts gesehen zu haben.
    »Amis kommen !« meldete einer.
    Drunten war Military Police vorgefahren, Jörg verließ die Wohnung, in der er nicht gemeldet war. Schon am Schritt der Soldaten erkannte er Captain Bradleys Befehl. Sie rannten nicht, um Gesetzesbrecher zu erwischen, gemächlich, wie Besucher stiegen sie die Treppe hinauf und ließen ihn passieren. Karajanoff öffnete, wies sich aus. Den Durchsuchungsbefehl nahm er schweigend zur Kenntnis. Die Soldaten schwärmten aus, schauten in alle Zimmer, Schubladen und Kästen. Nichts fand sich, was nicht hätte da sein dürfen. Bis einer in den Lichthof hinuntersah. Wie eine Pantomimentruppe hoben sämtliche Bulgaren gleichzeitig Schultern und Augenbrauen.
    Karajanoff verdeutlichte: »Haben auch schon gesehen. Aber nicht wissen, wem gehören. Hier viele Wohnungen.« Um ganz sicher zu gehen, übersetzte ein anderer: »Have seen already. Not know, whom belong. Here many people .«
    Nachdem sie verstanden hatten, sah man, was man selten sah: Angestrengt nachdenkende Soldaten. Diese Antwort- war hinter ihren Stirnen zu lesen — würden sie bei allen Parteien im Haus bekommen. Niemandem wäre etwas nachzu weisen.
    »Okay«, sagte der Anführer des Kommandos. Ohne weitere Prüfungen, ohne Verhaftungen zogen Captain Bradleys Mannen wieder ab.
    »Na seht ihr«, sagte der Jörg, in die Wohnung zurückgekehrt, »eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Polizei und Schwarzhändlern ist nicht zu bestreiten. Wenn man sich auf höherer Ebene verständigt hat, kann unten nichts passieren .«

Erstes Freies…

    I m Mai befreit und erst im Januar Fasching! Acht Monate ohne Verkleidung, — das war einfach zu lang. Im August wurden wir unruhig, im Oktober fiel die Entscheidung: Fasching ist, wenn wir es wollen.
    Veranstaltungen wurden 1945 mit einem politischen Zusatz angekündigt, der sich opportunistischerweise zur Epidemie aus weitete. Wollten beispielsweise die linkshändigen Kippensammler mit ihren rechtshändigen Kollegen zu einem Meinungsaustausch Zusammenkommen, standen die ersten beiden Worte der Bekanntmachung fest:
    Erstes Freies Treffen des eigennützigen Vereins linkshändiger Kippensammler mit den rechtshändigen solchen
    Hatte einer seinen

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