Der Sieg nach dem Krieg
letzten Schnupfen im Krieg gehabt, war der nächste der Erste Freie. Als Parodie auf diese Mode stand das für November geplante Faschingsfest unter dem Motto:
Erstes Freies Nikolaus- und Engerltreffen
Ort der Handlung: eine der beliebtesten Festadressen, die Atelierwohnung einer Fotografin im schönsten Teil von Schwabing, Die Besitzerin, eine hübsche Hellblondine aus alter Münchner Akademikerfamilie — so unterschied man damals — , liebte es, viele fröhliche Menschen um sich zu haben, die sie nimmermüd nach Kräften bewirtete. Sie war das, was man einen Freund nennt.
Wir hatten eine Methode entwickelt, um Freundschaft zu messen. Das Rezept bestand aus einer einzigen Frage: Du hast jemanden umgebracht und traust dich nicht nach Hause. Zu wem würdest du gehn?
Dabei fiel regelmäßig der Name der Fotografin und man wußte wie ihre Antwort lauten würde: Soso, deinen Nebenbuhler hast du umgebracht! Komm rein und trink erst mal was, damit du dich beruhigst. Dann legst du dich aufs Ohr. Morgen sehen wir weiter.
Freunde dekorierten die Räume, machten mit Fotolampen und Farbfiltern phantastische Lichteffekte, ohne daß der erhöhte Stromverbrauch beim Elektrizitätswerk auffallen konnte.
Das Fest wurde zu einer hinreißenden Ballnacht. Nikoläuse, dick vermummt, vom Gehpelz bis zum Bischofsornat, und Ruprecht-Knechte, den Sack geschultert, in dem sich mehr oder weniger trinkbarer Alkohol befand, alle mit umgehängten Bärten, die sie zum Küssen hochklappten, lasen züchtigen und leichtgeschürzten Engerln zuerst die Leviten, um ihnen schließlich ihre Sünden zu vergeben. Die noch zu erwartenden eingeschlossen.
Ein Nikolaus fiel allen auf. Besonders der Fotografin. Ein Malerfreund hatte ihn mitgebracht und als italienischen Nicolausio vorgestellt. Man hörte es. Seine deutschen Sprachkenntnisse waren noch begrenzter als die Bewegungsfreiheit von uns Deutschen. Trotzdem gelang es ihm, uns deutlich zu machen, daß er der Neffe eines berühmten adeligen Schriftstellers sei, dessen Name bei uns zur Schulbildung gehörte.
Die Nacht wurde durchtanzt. Als die ersten gingen, hatten ernsthaftere Bürger ihre Arbeitsplätze längst eingenommen. Auch der italienische Nikolaus ging. Um seine Koffer zu holen, Schrankkoffer voll erlesener Garderobe, darunter drei Smokings. Seitdem hat er das Haus nur noch kurzfristig und ohne Gepäck verlassen. Sein Deutsch besserte sich im Lauf der Jahre so sehr, daß er der Fotografin auf dem Standesamt sein Ja-Wort geben konnte.
Viel später, um die Mitte der Sechzigerjahre, wurde er an seine Einzugsmacht erinnert. Noch immer trafen sich Freunde in dem gastlichen Haus, und das Fotoatelier, inzwischen mit neuen Scheinwerfern und Apparaten bestückt, ernährte die beiden. Eines Abends, beim Gespräch unter vier Augen machten sie eine bemerkenswerte Entdeckung.
Sag mal, bekommen wir eigentlich Stromrechnungen?
Das regelst doch du!
Ich? Dann würd’ ich ja nicht fragen.
Hm. Ich wüßte nicht, daß ich je eine gesehen hätte. Vielleicht wirds vom Konto abgebucht.
Das hätte ich bemerkt.
Komisch. Vielleicht ist der Zähler kaputt?
Das hätten die von der Stadt bemerkt.
Schau halt mal nach!
Weißt du, wo er ist?
Ich kenn’ mich da nicht aus.
Im großen Freundeskreis war es nicht schwer, einen Kundigen zu finden. Der suchte lange, kroch in alle Ecken des verwinkelten Altbaus und sagte, als er endlich wieder zum Vorschein kam: »Ich gratuliere euch. Ihr habt überhaupt keinen Zähler .«
Das stimmte nachdenklich. Gemeinsam drehten sie die Zeit zurück. Bis zum ersten freien Nikolaus- und Engerltreffen. Es mußte auch das erste zählerfreie gewesen sein.
Das stimmte besorgt. Gemeinsam überlegten sie. Hatte einer seinerzeit den Kasten vielleicht abmontiert, um die Lichtfülle überhaupt beizubringen? Wenn ja — wer? Was nützt der Name jetzt noch?
Sie begannen nachzurechnen, Stromgebühren im Lauf der Jahre, Normalverbrauch, zusätzlicher Verbrauch durch Atelierscheinwerfer und andere Apparate. Die Summe, die sich ergab, belief sich auf stattliche 50 000 D-Mark.
Das stimmte bange. Gemeinsam machten sie Scharfsinn flott. Mußte man das melden? Dann gäbe es sicher eine saftige Strafe dazu, denn wer würde ihnen glauben? Und wenn man heimlich einen Zähler einbaute? Aber woher nehmen? Dann käme mit Sicherheit heraus, daß vorher keiner da war. Das würde die Strafe unweigerlich erhöhen. Am sichersten wäre es, auszuziehen. Wie aber dem Nachfolger die Installation
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