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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Wein ein.
    Bei der Süßspeise mit amerikanischem Hershey-Schokoladensirup endlich das erlösende Schlüsselgeräusch, dann Skigeklapper. John trat ein, umarmte sein Engerl in seiner unbekümmerten Art, freute sich über den Lastzug und fand alles fabelhaft, sich selbst eingeschlossen. Ohne eine Frage, was sie gemacht habe, setzte er sich zu Tisch. Sie fing in der Küche von vorne an, und weil er den Steilhang elfmal hinuntergeschossen war, durfte sie ihm ein großes Stück Fleisch braten. Dafür lobte er sie, ließ sich noch Feuer geben und wurde geschäftlich.
    »So. Geh’ ma! Zum Abendessen bin i wieder da .«
    Nie hätte das Engerl geahnt, daß das Geräusch eines wegfahrenden Lastzugs wie Musik sein kann. Doch bald stellten sich neue Sorgen ein, und es brauchte gute Freunde, das Muckerl. Ihr John kam nämlich nicht wieder.

Traumspiele und Wirklichkeit

    W ie Axel von Ambesser müßte man’s machen! dachten viele beim Theater, deren Karriere noch nicht angebrochen war. Ambesser hatte gefilmt, Drehbücher und Stücke geschrieben, er hatte inszeniert und spielte auf großer Breite, vom Klassiker über Boulevard bis zum Kabarett, wofür er auch textete. Für die Münchner Theaterjugend war Ambesser Gallionsfigur, ihr progressiver Protagonist und Autor. Ich sehe uns noch jubelnd mit geschwollenen Fingern immer weiterklatschen bei der Premiere seines Stücks das Abgründige in Herrn Gerstenberg. So müßte man’s machen! Das Stück geschrieben haben, die Hauptrolle spielen und nach zwanzig Vorhängen noch kein Ende des Beifalls feststellen können, wie an diesem 30. Oktober 1946. Mir lag Axel besonders mit seinem ausgeprägten Sinn für Unsinn, seinem sittlichen Unernst und Mangel an deutscher Tiefe, was immer das sein mag. Er war kein Verwandler, kein Rollenschlüpfer, wie Werner Kraus, der sich bis in die Stimme verändern konnte, so daß man im Programmheft nachschauen mußte, wer das wohl sei. Ambesser war immer Ambesser, ob als Hektor in Der trojanische Krieg wird nicht stattfinden von Jean Giraudoux, am 15. April 1946 uraufgeführt oder als Korff in Molnars Spiel im Schloss, der Sylvesterpremiere von 1945. Immer wirkte er unangestrengt, kein augenrollender, nüsternblähender Gesichtsgymnast, kein bedeutungsschwerer Sonortöner, ein leiser Herr, der sich mit Spaß selber spielt und dem man dabei gerne zusah. Auf der Kabarettbühne gefiel er mir am besten. Da konnte er den konservierten Text verlassen, sich in Wortspiele verlieren, Einfälle mit Pointen dazwischenschieben. Einfälle erschienen mir als das Wichtigste überhaupt, Einfälle bestimmten seit Jahren das Leben all derer, die sich nicht mit der Herde zum Schlachthof treiben ließen, sich lieber auf eigenes Risiko durchschlagen wollten: Einfälle machten Freiheit möglich.
    Den Zweitambesser strebte ich nicht an, sah im Original eher eine Art Leitplanke, um meine Unentdecktheit auf Kurs zu halten. Für den richtigen Kurs schien mir ein richtiger Kurs das Richtige.
    Da gab es, einem Gerücht zufolge, im Isartal das erste Unternehmen mit der Bezeichnung Studio , eine Schauspielschule besonderer Art. Dort werde, unter Anleitung eines erfahrenen Theaterpraktikers und mit einer von C. G. Jung beeinflußten Atemtherapeutin, der Umgang mit dem Werkzeug des Schauspielers, dem Ich und dem Rollen-Ich, psychologisch vertieft. Die noch ahnungslose Gestaltungskraft werde bewußt und damit verfügbar gemacht, das Repertoire der schlummernden Möglichkeiten durch Arbeit an eigenen Träumen ermittelt und erweitert. Nach Bewußtmachung werde das Gewonnene über Atemtechnik ins Unbewußte abgesenkt — man zitierte in diesem Zusammenhang Kleists Schrift vom Marionettentheater — und sei von dort als Gestaltungseinheit jederzeit für den Auftritt abrufbar. Ein esoterisch-dynamisches Center, würde man heute sagen. Dahin zog es mich.
    Aktivitäten mit aparten Absichten waren gang und gäbe. Das Kulturleben steckte voller Renovierungseifer. Wir versorgten uns à la carte. Beim Staatstheater im Brunnenhof der Residenz hatte ich in einem Stück mitgewirkt, einem Lebensbilderbogen des Malers Vincent van Gogh in ungewöhnlicher Aufbereitung. Arnulf Schröder, der Regisseur, setzte seine Spielschar in die ersten beiden Parkettreihen. Hier verwandelten wir uns vor den Augen des Publikums, stülpten Perücken über, klebten Bärte an, wechselten Kostüme und konzentrierten uns sichtbar auf den nächsten Auftritt. Jeder spielte mehrere Rollen. Bei einem alten Professor härteten

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