Der Siegelring - Roman
jener anderen Welt, in der er jetzt hoffentlich glücklich wandelte? So würde er es wahrscheinlich deuten, denn das war etwas, was ihn in der letzten Zeit stark bewegt hatte. Er hatte sich, für mich und auch für einige seiner Freunde etwas unerklärlich, sehr intensiv mit esoterischen Themen auseinander gesetzt. Hier konnte und
wollte ich ihm allerdings nicht folgen, manche Theorien, die da aufgestellt wurden, schienen mir denn doch ein wenig an den Haaren herbeigezogen zu sein.
Ich schickte nichtsdestotrotz ein paar liebevolle Gedanken in seine Richtung und schlief, ein wenig getrösteter, wieder ein.
Ein Geräusch weckte mich. Diesmal kam ich etwas schneller zu mir und war mir völlig im Klaren darüber, wo ich mich befand und was mir geschehen war. Darum wusste ich genau, dass dieser Mann da an der Tür nichts in meinem Zimmer zu suchen hatte. Auch wenn es ein ungemein gut aussehender Mann war. Er trug verwaschene, enge Jeans, und ein ärmelloses T-Shirt spannte sich über einem muskulösen Brustkorb. Erstaunlich schöne blonde Locken umgaben sein braun gebranntes, kantiges Gesicht. Ich war bisher attraktiven Männern gegenüber nicht grundlegend abgeneigt, trotzdem empfand ich sein unaufgefordertes Eindringen in mein Krankenzimmer als unangenehm.
»Suchen Sie jemanden?«, fragte ich kühl.
»Ja, dich, Schätzchen!«
Schätzchen ist ein Titel, den ich partout nicht schätze, und darum tastete ich nach dem Rufknopf für das Pflegepersonal und schnauzte ihn an: »Das ist ja wohl die Höhe! Machen Sie, dass Sie aus dem Zimmer verschwinden.«
»Nicht so hastig, Süße. Ich bin eigentlich hier, um dir zu helfen.«
»Dazu ist derzeit das medizinische Personal bestens in der Lage. Raus!«
»Und ich dachte, in einer solch bescheidenen Situation wäre die Hilfe von einem Landsmann mit blendenden Spanischkenntnissen vielleicht doch recht nützlich.
Ich entschuldige mich für das Schätzchen und die Süße. Ich heiße Marc. Darf ich es mit Anita versuchen?«
Die Unverfrorenheit beeindruckte mich wider Willen. Ich zog die Hand vom Rufknopf zurück.
»Woher wissen Sie meinen Namen?«
»War nicht schwer, ihn herauszufinden. Es mag dir entgangen sein, dass du zu einer internationalen Berühmtheit geworden bist. Leidest du unter einer Amnesie, oder kannst du dich an den Unfall erinnern?«
»Das Flugzeug. Doch, ich erinnere mich nur zu gut.«
Marc kam näher und zog sich einen Stuhl heran. Ich las so etwas wie Mitgefühl in seinem Gesicht. Und darum stellte ich die Frage, deren traurige Antwort ich beinahe zu wissen glaubte.
»Es hat wohl keine Überlebenden gegeben?«
»Nein. Nur dich. Alle glaubten an ein Wunder, bis man herausfand, dass du im letzten Moment umgebucht hattest.«
Also stimmte es, was ich mir gedacht hatte. Aber es traf mich doch noch einmal heftig.
»Es ist fünf Tage her, falls du einen Bezugsrahmen für die Zeit brauchst, die du schon hier bist. Wie kommt es, dass deine Familie sich nicht tröstend um dein Bett versammelt hat?«
»Meine Familie hat momentan andere Sorgen.«
»Scheint ein herzloses Volk zu sein. Aber das geht mich wohl nichts an.«
»Richtig, das geht dich nichts an.«
Wenn er mich so permanent duzte, konnte ich das auch.
»Aber wenn du etwas brauchst, kannst du es jetzt ja mir sagen. Ich bin die Hilfsbereitschaft in Person.«
»Warum eigentlich? Bist du so was wie der heilige Michael?«
Es mussten die blonden Locken sein, die mir diesen Vergleich auf die Zunge legten, und eitel wie der Kerl war, deutete er das prompt richtig und fuhr sich herausfordernd mit dem Finger durch die schimmernde Pracht.
»Ach ja, man vergleicht mich gerne mit dem Drachentöter. Aber das ist nicht so direkt mein Gebiet.«
»Sondern?«
»Ich bin Fotograf.«
»Und machst besonders schöne Landschaftsaufnahmen von den Kanarischen Inseln im Sonnenuntergang. Ob ich das glaube?«
»Halte es, wie du willst. Landschaften sind jedenfalls häufig auf meinen Bildern mit drauf. Aber ich hab auch ein ausgemachtes Gespür fürs Dramatische, und wie der Zufall es wollte, kam ich gerade zurecht, als das Flugzeug explodierte.«
»Presse?«
Er zuckte mit den Schultern, und mir entfuhr ein innig gemeintes: »Scheiße!«
Er grinste nur.
»Ich kann mit der Verachtung leben. Es ist ein gut bezahlter Job.«
»Für welches Blatt arbeitest du?«
»Für das, was am besten zahlt. Ich bin ungebunden.«
Wenn ich nicht selbst einige Jahre diese Form der Ungebundenheit genossen hätte, wäre er jetzt
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