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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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letzten drei Jahren hatte ich ein paar Mal das Gefühl, dass er den Kern seines Wesens stärker hervorkehrte und die Masken ablegte.
    Ich wusste nicht, wie viel Uschi davon kannte. Manchmal befürchtete ich fast, sie habe sich nie der Mühe unterzogen, sich ernsthafter mit ihm zu beschäftigen. Sie war zufrieden, sein Publikum zu sein, das er, in Vollendung, zu umwerben wusste. Dass er allerdings auch andere als sein Publikum betrachtete, forderte ihre Eifersucht heraus. Sie war eine besitzergreifende Frau, und wenn sie nie verstanden hatte, dass Julian die Bewunderung als Gegenleistung zu seiner Hingabe benötigte, um nicht auszubrennen, dann hatte sie sich das Leben selbst sehr schwer gemacht.
    Der Gedanke bedrückte mich zusätzlich, und ich versuchte die nächsten Tage, etwas mehr an sie heranzukommen.
Es gelang mir schließlich am Wochenende, sie ein wenig aus ihrer wütenden Trauer herauszuholen und sie für meine Erlebnisse zu interessieren. Ich konnte ihr von den Freunden erzählen, die ich verloren hatte, und manche Episoden, die wir gemeinsam erlebt hatten, erheiterten sie sogar etwas. Allerdings vermied ich es, so gut es nur eben ging, meinen Vater zu erwähnen. Sie hatte ihn zu einem geradezu unberührbaren Thema gemacht und sogar verboten, dass jemand auch nur eine Kleinigkeit in seinem Arbeitszimmer oder dem Musikzimmer veränderte.
    Ich hatte einmal den Fehler gemacht und mir ein Buch aus dem Regal holen wollen. Sie hatte mich angezischt wie eine wütende Katze. Dennoch gab ich ihrer Bitte nach, noch eine Weile bei ihr wohnen zu bleiben. Es war eher aus Bequemlichkeit als aus Neigung, denn zurzeit gab es für mich wenig Alternativen. Meine Art zu leben war komplett zusammengebrochen. Meinen Job in den Ferienclubs würde ich nicht wieder aufnehmen können. Schöne Menschen waren an den Pools und Bars erwünscht, nicht solche, die das Feuer gezeichnet hatte. Seltsamerweise bedauerte ich das gar nicht so sehr. Die Zeit der Weltenbummelei war für mich vorbei. Aber wie und wo ich sesshaft werden sollte, wusste ich noch nicht.
    Den Arbeitsvertrag mit dem Auktionshaus hatte ich zurückgeschickt. Meine Arbeitsunfähigkeit würde noch eine ganze Weile andauern. Glücklicherweise - oder vielleicht auch unglücklicherweise - gab es derzeit für mich keine finanziellen Probleme. Die Versicherungen zahlten für die Behandlungen, ein mehr als komfortables Heim fand ich in unserem Haus, und außerdem hatte Julian mir schon vor einigen Jahren ein paar Vermögenswerte überschrieben, die mich unabhängig machten. Andererseits würden mir drohende finanzielle Probleme
vermutlich bei der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung mehr Antrieb geben.
    Uschi war einigermaßen gefasst, als ich am Mittwoch erneut in die Klinik ging, um mich den nächsten Operationen zu unterwerfen. Erst am Wochenende war ich wieder einigermaßen aufnahmefähig, und in der Zwischenzeit war all meine Aufbauarbeit zunichte gemacht worden - Uschi hatte Kenntnis von Julians Testament erhalten.
    Es war unser Notar, ein alter Freund der Familie, der mich am Montag besuchte und mir von den Regelungen berichtete, die meine Mutter völlig aus der Bahn geworfen hatten. Sie hatte in seinem Büro einen Nervenzusammenbruch erlitten und stand nun ebenfalls unter ärztlicher Aufsicht.
    Dr. Schneider mochte an die siebzig sein, ein zurückhaltender, korrekter und manchmal etwas steifer Herr, aber nicht ohne innere Güte, wie ich aus der langen Zeit wusste, die ich ihn kannte.
    »Ich hoffe, Anita, dass Sie sich schon gut genug fühlen für diese Formalitäten. Es ist nämlich so, dass es eine kleine Überraschung für Sie sein wird, was Ihr Vater veranlasst hat. Aber es betrifft Sie lange nicht so - äh - emotional wie Ihre Mutter.«
    »Nun machen Sie es nicht so spannend, Dr. Schneider. Enterbt haben wird Julian mich wohl nicht!«
    »Selbstverständlich nicht. Er war ein gerechter Mann, und Sie lagen ihm stets sehr am Herzen.«
    Meine flapsigen Bemerkungen schien Dr. Schneider zu missbilligen, aber dann verschwand der leicht empörte Ton aus seiner Stimme, und er fuhr nüchtern fort: »Hören Sie, Anita, auf diese Weise hat er seinen Nachlass geregelt. Alles völlig korrekt und im Sinne des Gesetzes. Es ist natürlich noch eine Frage der Zeit, wann
das alles so in Kraft treten kann, denn noch laufen die Ermittlungen wegen des Unfalls. Aber ich denke, der Fall wird bald abgeschlossen sein.«
    Ich hörte. Vorausschauend wie Julian nun mal war, hatte er ein

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