Der Siegelring - Roman
ich hätte nicht gedacht, dass Sie... dass du Kontakt mit mir haben willst.«
»Ich habe bedauerlicherweise erst vor kurzer Zeit überhaupt von deiner Existenz erfahren. Unser Vater war in dieser Hinsicht äußerst verschwiegen.«
Über ihr Gesicht huschte der Ausdruck von Trauer.
»Ja, das war er. Und er hat uns auch stets eingeschärft, dass wir euch nicht belästigen sollen. Es sei zu schmerzhaft für seine Frau.«
»Tja, Uschi hat es einen Schock versetzt. Aber ich - weißt du, ich war sofort unheimlich neugierig auf dich. Verzeih, dass ich dich so unangekündigt überfallen habe.«
»Aber das macht nichts.«
Plötzlich verzog sich das süße Gesichtchen zu einem koboldhaften Grinsen, und sie streckte die Arme nach mir aus.
»Schön, dass du gekommen bist, Schwester Anahita!«
Ich musste lachen und erwiderte ihre Umarmung.
»Schön, dass ich dich endlich treffe, Rosewita. Aber um Himmels willen, nenn mich Anita. Es gibt Dinge, die ich unserem Vater nicht so leicht verzeihe. Und das ist dieser Name.«
»Einverstanden. Darin sind wir uns schon mal einig. Ich spare mir die ›Hita‹ und du bitte die ›Wita‹. Ich lasse mich auch lieber Rose nennen.«
»Ist mal jemand auf die Idee gekommen, dich Röschen zu nennen?«
»Derjenige könnte feststellen, mit welchem Geschick ich eine heiße Glasbläserpfeife zur Belehrung einsetzen kann!«
»Ah, das sanfte Aussehen ist also nur Fassade. Das musste wohl so sein.«
»Nicht nur. Aber da du jetzt hier bist, werde ich meine
Arbeit für heute beenden, und wir sollten uns irgendwo ein bisschen unterhalten. Oder hast du keine Zeit?«
»Ich habe mehr Zeit, als mir lieb ist. Und ich würde mich ebenso gerne mit dir unterhalten.«
»Schön, komm mit nach hinten, ich muss noch ein paar Handgriffe tun, um vorher eine Sache abzuschlie ßen.«
Ich folgte ihr in eine helle, saubere Werkstatt, wo sie auf einem großen Tisch die Bestandteile eines Buntglasfensters ausgebreitet hatte. Es war ein sehr altes Fenster, vermutlich stammte es aus einer Kirche oder Kapelle.
»Du restaurierst?«
»Butter und Brot müssen verdient werden. Von der Kunst allein kann man nicht leben.«
»Wie wahr! Machst du die Bleiverglasung neu?« Ich betrachtete die Bleiruten auf dem Tisch und den Lötkolben.
»Nicht nur das, ich ersetze auch die fehlenden Teile. Das Ding war ziemlich demoliert, als ich es bekam. An manchen Stellen musste ich meine ganze Fantasie einsetzen, um überhaupt herauszufinden, wie sich das Muster zusammensetzt. Aber ich glaube, es wird jetzt recht authentisch. Es stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert, und da gibt es einiges Vergleichsmaterial. Aber um die damaligen Farben herzustellen, musste ich ganz schön herumexperimentieren.«
Ich betrachtete die Glasstücke, die noch nicht an Ort und Stelle lagen. Mit Scherben konnte ich umgehen.
»Wo die hingehören, werde ich vermutlich erst ganz zum Schluss feststellen. Die waren herausgebrochen und lagen zersplittert daneben.«
»Das hier gehört zur Umrandung, und das Teil da müsste dem Heiligen die Füße wiedergeben, denke ich. Wer ist es, der uns da so schmerzverzerrt entgegenblickt?«
»Der heilige Sebastian, sagte man mir.«
»Nun, dann dürfte dieses gefiederte Fragment einen Pfeil darstellen, und der pflegt ihm normalerweise im Leib zu stecken.«
»Sag mal, setzt du oft Puzzles zusammen? Du bist super, Anita. Genau da passt er hin. Das Stück ist in zwei Teile gebrochen, da ist die Rippe, die der Pfeil getroffen hat. Na, die brauche ich nur noch zu kleben.«
»Du klebst Glas?«
»O ja. Hab ein brandneues Material bekommen. Aber wenn wir so weitermachen, werde ich ganz tief in die Fachsimpelei abgleiten. Das können wir gerne später noch tun. Bist du mit dem Auto hier?«
»Ja, es steht vor dem Haus auf dem Parkplatz.«
»Dann fährst du am besten hinter mir her. Ich wohne nicht weit von hier.«
Ich folgte ihr den kurzen Weg und freute mich darüber, dass sie mich ohne Vorbehalte akzeptiert hatte. Rose wohnte in einem neuen Mehrfamilienhaus, sie hatte eine Dachgeschosswohnung mit einem Blick bis zum Kölner Dom, der heute jedoch nur schemenhaft zu erkennen war, da Dunst in der Luft hing. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie einen etwas verspielten Einrichtungsstil pflegen würde, aber wenn die Zimmer auch gemütlich waren, so fehlte doch jegliche Form von Firlefanz. Und es gab natürlich einige Kunstwerke aus Glas. Eine Türfüllung beispielsweise, die mich begeisterte, ebenso zwei geschliffene
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