Der Siegelring - Roman
umfangreiches Testament gemacht. Darin waren vor allem die Fragen um Rechte an seinen Produktionen geregelt, aber auch die Eigentumsangelegenheiten und Vermächtnisse an Dritte. Es war zunächst langweilig und nicht sonderlich überraschend. Aber dann kam der unerwartete Knall!
Julian vermachte seiner Tochter Rosewita van Cleve ein Drittel seines Vermögens.
Ich schnappte nach Luft.
»Donnerwetter!«
»Anita, Ihr Vater war mir ein lieber Freund, und natürlich wusste ich seit dem Testament, bei dessen Gestaltung ich ihn beraten habe, von seinem unehelichen Kind. Ich habe ihn sogar gebeten, Ihrer Mutter und Ihnen von dieser Tochter zu berichten, aber offensichtlich hat er das nicht getan.«
»Nein, mir hat er nichts von dieser Rosewita erzählt. Und ich könnte mir denken, dass er sich eingeredet hat, meine Mutter mit seinem Schweigen zu schonen. Sie war schon immer sehr eifersüchtig.«
Der Notar seufzte leise. Ich konnte mir die Szene lebhaft vorstellen, die Uschi ihm geliefert hatte. Sie musste sich ja vollkommen bestätigt fühlen in ihrem Glauben an das treulose Lotterleben, das mein Vater geführt hatte. Himmel, was für ein Salat!
»Sagen Sie, wann hat er das Testament gemacht?«
»Diese letzte Fassung stammt von vor zwei Jahren. Aber auch in den vorherigen Ausfertigungen war seine Tochter schon berücksichtigt, wenn Sie das wissen wollen.«
»Ja, aber um Himmels willen, wie alt ist denn das Kind?«
»Es wurde drei Tage vor Ihnen geboren, Anita.«
Jetzt war ich sprachlos.
Das Erste, was ich überhaupt nach einer endlos langen Zeit von mir geben konnte, war ein tonloses »Oh!«
»Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht einen ebenso großen Schock verursacht wie Ihrer bedauernswerten Mutter, Anita.«
»Nein, Sie haben mich nur maßlos überrascht. Ich hatte kurzfristig geglaubt, dass eventuell Uschis Verdächtigungen, Julian habe an jenem Unglückstag seine heimliche Geliebte besucht, vielleicht doch berechtigt waren.« Ich schüttelte, noch immer verblüfft, den Kopf. »Wissen Sie, in welchem Verhältnis die Mutter meiner - mmh - Halbschwester zu meinem Vater stand?«
»Sophia van Cleve ist eine seit zwanzig Jahren verheiratete Frau. Sie ist Goldschmiedin und lebt mit ihrem Mann und ihrer jüngeren Tochter in Köln. Soweit ich weiß, hat Julian sie hin und wieder besucht, aber das geschah in den Jahren, als Rosewita noch klein war. In der letzten Zeit hat er wohl nur gelegentlich telefonischen Kontakt zu ihr gehabt.«
Mir kam ein geradezu überwältigender Gedanke.
»Könnte er in dieser Nacht vor dem Unfall bei ihr gewesen sein?«
»Nein, das war er bedauerlicherweise nicht. Dieser Vermutung sind die offiziellen Stellen ebenfalls nachgegangen, aber es scheint, dass Sophia und Rosewita sich genau in dieser Nacht auf einen Flug nach Australien begeben haben.«
»Ich hoffe, sie sind nicht ausgewandert.«
Sinn für Humor war Dr. Schneider weitgehend fremd. Sehr ernsthaft versicherte er mir: »Nein, nein. Natürlich
nicht. Ein Besuch bei Freunden. Sie sind seit vergangener Woche wieder zurück.«
»Kennen Sie Rosewita, Dr. Schneider?«
Der Notar schüttelte den Kopf.
»Nicht persönlich. Den Kontakt mit ihr hat mein Kompagnon übernommen.«
»Wissen Sie was, Dr. Schneider, Sie haben meine brennende Neugier geweckt. Ist es wohl möglich, dass Sie mir die Adresse von ihr geben? Ich glaube, ich würde meine Schwester gerne kennen lernen.«
Es war ein erfreutes Lächeln, das über das Gesicht des Notars huschte. Obwohl er nur etwa zwölf Jahre älter als Julian war, war er mir schon früher immer ein wenig großväterlich erschienen. Aber ich wusste, dass er mich mochte. Und es schien, als ob es ihn freute, dass ich so ganz anders als Uschi auf die erstaunliche Eröffnung reagierte.
»Ich lasse sie Ihnen am Montag zuschicken, Anita. Wie lange müssen Sie noch in der Klinik bleiben?«
»Bis Mitte nächster Woche.«
»Ich habe von Ihrem schrecklichen Unfall gehört.«
Er nahm meine Hand und streichelte sie ganz leicht. Dann erhob er sich und verabschiedete sich auf seine förmliche Art.
Es war diese kleine Geste des Mitgefühls, die mir beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Außerdem hatte sein Besuch mir jegliche Form der Langeweile vertrieben. Mit leichter Belustigung dachte ich über meinen Vater nach. Selbst wenn er meiner Meinung nach ein sehr solides Leben geführt hatte, musste er in jener Zeit vor achtundzwanzig Jahren doch recht intensiv durch die Betten gehüpft sein. Denn dass meine
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