Der Siegelring - Roman
mich ins Unrecht!« Er funkelte sie an, aber seine schroffen Worte wurden durch ein kurz aufblitzendes, anerkennendes Lächeln gemildert. »Dann will ich also für deine Unschuld sprechen. Nun ja, Falco stellt dir einen guten Leumund aus. Er ist ein Mann, der Menschen beurteilen kann, und ich achte seine Meinung darin hoch. Dazu haben wir deinen Sinn für Gerechtigkeit, den ich ja persönlich kennen gelernt habe. Er mag mich geärgert haben, spricht aber im Grunde für dich, denn du hast versucht, den alten Mann zu schützen, der für dich arbeitet. Der alte Erwan und der junge Ilan achten dich ebenfalls und sprechen gut von dir. Das wird nicht nur darauf zurückzuführen sein, dass du eine Barbarin wie sie bist und sie mit Nachrichten aus dem Haus versorgst. Charal bestätigt mir, dass du flei ßig, pünktlich und genau in deiner Arbeit bist und gewissenhaft mit ihm abrechnest. Aber das sind nur äußerliche Beschreibungen deines Charakters, dahinter kann sich trotzdem eine Verräterin verbergen. Stimmst du mir zu?«
»Ja, Dominus.«
»Es gibt aber noch einen anderen Fall. Du scheinst Ulpia Rosina einen nicht unbeträchtlichen Dienst erwiesen zu haben, richtig?«
»Sie wollte nicht, dass Ihr es erfahrt.«
»Ich hätte nicht davon gehört, wenn mir Falco es nicht erzählt hätte. Er hielt es für wichtig, und das ist es auch.« Er sah ihr in die Augen, und sie hielt seinem Blick ruhig stand. »Du bist ihre Freundin und Vertraute geworden, Annik. Es ehrt dich, dass du sie nicht verraten willst. Dennoch, ich denke, wir beide wissen, warum sie in den Wald ging. Verlass dich darauf, dass ich es ihr nicht zum Vorwurf machen werde.«
Annik senkte ihren Blick. Das, was Valerius Corvus gesagt hatte, war ein ungewöhnliches Eingeständnis.
»Als letztes Argument will ich noch hinzufügen, dass meine Tochter Gratia dich sehr zu lieben scheint. Ich habe festgestellt, dass junge Menschen ein gutes Gefühl für Aufrichtigkeit haben. Und Gratia ist ein kluges und feinfühliges Mädchen.«
Er leerte seinen Becher und schenkte sich sofort nach.
»So kommt Ihr zu dem Schluss, dass ich nicht die Verräterin bin, die ich scheine?«
»Ja, zu diesem Schluss bin ich gekommen. Du zeichnest dich durch ungewöhnliche Loyalität zu meinem Haus aus, scheint mir. Und darum habe ich jetzt einige Bitten an dich, Töpferin Annik.«
»Nennt sie mir. Ich will sehen, dass ich ihnen nachkommen kann.«
»Finde heraus, wer von meinen Leuten Verbindungen zu den Aufrührern und Unruhestiftern hat. Es müssen einer oder mehrere sein, sonst hätte sich der Vorfall mit Ulpia Rosina nicht ereignen können. Ich bin zu selten hier, um ein Auge darauf zu haben. Du aber bist in Kontakt nicht nur mit dem Gesinde, sondern auch mit den Hausbewohnern und Gästen.«
»Spitzeldienste?«
»Ja, Spitzeldienste, wenn du so willst. Um der Sicherheit meiner Tochter und meiner Gattin willen, Annik.«
»Ich verstehe. Ja, ich werde für Euch die Augen offen halten und die Ohren spitzen. Aber an wen soll ich mich wenden, wenn ich etwas herausgefunden habe?«
»An mich oder Falco. Kannst du lesen und schreiben?«
»Natürlich!«
»Dann wirst du mir Nachricht schicken können, wenn es notwendig ist. Aber ich werde in den nächsten Monaten häufiger herkommen.«
»Gut, Eure nächste Bitte?«
»Achte ein wenig auf meine Tochter. Gratia ist in einem Alter, in dem sie besonders gefährdet ist. Sie ist noch unerfahren, eine Jungfrau, meine einzige Erbin. Und so wie es aussieht, wird sie das auch bleiben«, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu. Annik sah in die Glut im Herd. Sie erwiderte nichts, und er fuhr fort: »Gratia entwächst allmählich ihren Lehrern und Kinderfrauen. Zu dir hat sie Vertrauen.«
»Dann gestattet ihr, dass sie bei mir das Töpferhandwerk lernt. Das würde es mir erleichtern, diese Bitte zu erfüllen.«
»Ich werde es ihr erlauben.«
»Habt Ihr noch eine Bitte, Dominus?«
Er langte zu dem Becher, betrachtete die dunkle Flüssigkeit und trank ihn in einem Zug aus. Doch er schwieg. Nach einer Weile griff er wieder zu dem Weinkrug und schenkte den Becher voll.
»Eine schwere Bitte, Dominus?«
Ruhig, aber mit einem Lächeln in der Stimme fragte Annik ihn das. Er wollte wieder den Becher an die Lippen setzen, doch sie berührte sacht den Rand des Trinkgefäßes. Er stellte es vor sich auf den Tisch. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten, aber sie wartete geduldig, und in ihrem Blick lag Zärtlichkeit.
Heiser sagte er
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