Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Zodiac, geht die Forschung davon aus, dass es sich bei ihnen um Menschen handelte, die Moral und Sitte in ihrem Lebensumfeld wiederherstellen wollten. Sie hatten, wenn man so will, eine Mission zu erfüllen. Und anders, als es uns die Presse mit erfundenen Schauernamen wie ›Der Würger von Boston‹ oder ›Die Kindermörderin von Toulouse‹ suggerieren will, waren diese Mörder durchschnittliche Bürger, die am Wochenende mit ihren Nachbarn Kaffee tranken und hart arbeiteten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weder der eine noch der andere profitierte finanziell von seinen Verbrechen.«
Das Gespräch beginnt Savoy zu interessieren.
»Also kann es irgendjemand sein, der zum Filmfestival nach Cannes gekommen ist...«
»...und ganz bewusst aus einem unerfindlichen Grund heraus Schrecken verbreiten will. Er will beispielsweise ›gegen die Modediktatur kämpfen‹ oder ›der Verbreitung von Gewalt verherrlichenden Filmen ein Ende bereiten‹. Die Presse wird früh genug einen schaurigen Namen für ihn finden und sich Verdachtsmomente zusammenreimen. Morde, die der Mörder nicht begangen hat, werden ihm zugeschrieben werden. Panik wird gesät, die erst aufhört, falls der Mörder zufällig – und ich betone ›zufällig‹ – gefasst wird. Denn häufig ist er nur eine bestimmte Zeitlang tätig und verschwindet dann vollkommen von der Bildfläche. Er hat eine Spur in der Geschichte hinterlassen, möglicherweise sogar ein Tagebuch geschrieben, das nach seinem Tod gefunden wird. Und das war’s dann.«
Savoy schaut nicht mehr auf die Uhr. Sein Handy klingelt, aber er nimmt den Anruf nicht an: Der Fall ist viel komplizierter, als er gedacht hat.
»Sie sind also meiner Meinung?«
»Ja«, sagt die höchste Autorität von Scotland Yard, der Mann, der zur Legende geworden war, weil er fünf Fälle löste, die alle für unlösbar hielten.
»Warum glauben Sie, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben?«
Morris lächelt, während er so tut, als lese er eine E-Mail. Endlich beginnt der Inspektor, ein wenig Respekt für seine Ausführungen zu zeigen.
»Weil es für die Morde, die er begeht, kein Motiv gibt. Die meisten dieser Täter haben eine ›Handschrift‹: Sie suchen sich nur einen Typ von Opfern, entweder Homosexuelle, Prostituierte, Bettler, Liebespaare usw. Andere werden ›asymmetrische Mörder‹ genannt: Sie töten, weil sie den Tötungstrieb nicht mehr kontrollieren können. Wenn sie den Trieb nicht mehr beherrschen können, befriedigen sie ihn und töten erst wieder, wenn der Druck wieder unkontrollierbar wird. Mit so einem Täter haben wir es hier zu tun.
In diesem Fall müssen unterschiedliche Dinge in die Betrachtung mit einbezogen werden: Der Täter geht sehr raffiniert vor. Er hat für jeden Mord ein anderes Mordinstrument gewählt – die eigenen Hände, Gift, ein Stilett. Er ist nicht von den klassischen Motiven getrieben: Sex, Alkoholismus, sichtbare geistige Zerrüttung. Er kennt die menschliche Anatomie – und das ist bislang seine ›Handschrift‹. Er wird die Taten lange Zeit im Voraus geplant haben, denn das von ihm benutzte Gift ist sicher nicht leicht zu beschaffen. Also können wir ihn denen zurechnen, die ›eine Mission erfüllen‹. Welche das ist, wissen wir allerdings noch nicht. Die einzige Spur, die wir bislang haben, gibt uns das Mädchen, bei dem er Sambo, eine russische Kampfsportart, angewandt hat.
Ich könnte noch weitergehen und sagen, dass es Teil seiner ›Handschrift‹ ist, sich dem Opfer zu nähern und eine Zeitlang dessen Freundschaft zu suchen. Diese Theorie passt jedoch nicht zu dem Mord an dem Filmverleiher bei dem offiziellen Lunch. Das Opfer war in Begleitung von zwei Bodyguards, die reagiert hätten, wenn der Mörder sich ihrem Boss genähert hätte, der im Übrigen auch von europol überwacht wurde.«
Russe. Savoy überlegt, ob er telefonisch die Anweisung zu einer Fahndung an alle Hotels der Stadt durchgeben soll. Steckbrief: ca. 40-jähriger Mann, gut gekleidet, leicht angegrautes Haar – und Russe.
»Die Tatsache, dass er eine russische Kampfsportart angewandt hat, besagt nicht unbedingt, dass er Russe ist.« Morris, als guter Expolizist, der er war, hatte Savoys Gedanken erraten. »Ebenso wenig können wir aus der Tatsache, dass er Curare angewandt hat, folgern, dass er ein Indio aus Lateinamerika ist.«
»Und jetzt?«
»Jetzt müssen wir den nächsten Mord abwarten.«
18 Uhr 50
Aschenputtel!
Sie fühlt sich wie im
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