Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Rückfahrt von Monte Carlo auch schon darüber nachgedacht. Ja, es gibt eine Handschrift, die möglicherweise nicht einmal der große Inspektor von Scotland Yard bemerkt hat.
Opfer auf der Parkbank: Der Täter befindet sich in der Nähe.
Opfer beim Lunch: Der Täter ist nicht in der Nähe.
Opfer auf dem Pier: Der Täter befindet sich in der Nähe.
Opfer im Hotel: Der Täter ist nicht in der Nähe.
Also wird bei der nächsten Tat der Täter in der Nähe des Opfers sein. Besser gesagt: Das ist der Plan, dem der Täter folgen wird, sofern er nicht in den nächsten dreißig Minuten gefasst wird. Das hat sich Savoy alles aus Bemerkungen seiner Kollegen in der Polizeiwache zusammengereimt, die ihm diese Informationen weitergegeben haben, ohne ihnen große Bedeutung beizumessen. Und Savoy hat ihnen zuerst auch keine große Bedeutung beigemessen. Doch inzwischen hat er das fehlende Bindeglied, die richtige Spur, das einzige Stück in dem Puzzle, das noch fehlte.
Sein Herz klopft wie wild: Sein ganzes Leben lang hat er davon geträumt, und diese verdammte Versammlung hat überhaupt nicht aufgehört.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«
»Ja, Herr Kommissar.«
»Also, eines sollten Sie wissen: Die Leute dort draußen erwarten keine offizielle Erklärung mit technischen Details, keine genauen Antworten auf ihre Fragen. Tatsächlich werden sie alles tun, damit wir das antworten, was sie hören wollen. Aber wir dürfen ihnen nicht auf den Leim gehen. Sie sind nicht hergekommen, um uns zuzuhören, sondern um uns zu sehen. – Und damit ihr Publikum uns ebenfalls sehen kann«, sagt der Kommissar blasiert, als hätte er als Einziger in diesem Fall den Überblick.
Offensichtlich war das Protzen mit dem eigenen Wissen nicht nur ein Vorrecht Morris’ oder des Gerichtsmediziners – alle hatten so eine indirekte Art, zu verstehen zu geben: ›Ich verstehe etwas von meiner Arbeit.‹
»Seien Sie präsent! Besser gesagt: Ihr Körper und Ihr Gesicht werden mehr als Worte sagen. Ihr Blick muss fest, Ihr Kopf erhoben sein, die Schultern müssen locker hängen und leicht nach hinten gedrückt sein. Hochgezogene Schultern sind ein Zeichen für Anspannung und ein untrügliches Signal dafür, dass wir völlig im Dunkeln tappen.«
»Jawohl, Herr Kommissar!«
Sie treten aus dem Eingang des Gerichtsmedizinischen Instituts. Scheinwerfer gehen an, Mikrofone werden hingehalten, Leute fangen an zu drängeln. Nach ein paar Minuten ordnet sich das Durcheinander. Der Kommissar zieht einen gelben Zettel aus der Tasche.
»Der berühmte Filmstar wurde mit Blausäure getötet, einem tödlichen Gift, das auf unterschiedliche Weise angewandt werden kann, in diesem Fall als Gas. Der Filmregisseur wird mit dem Leben davonkommen. In seinem Fall handelt es sich um einen Unfall; er ist in einen geschlossenen Raum getreten, in dem noch Reste von Blausäure in der Luft lagen. Den Sicherheitskräften fiel auf den Monitoren auf, dass ein Mann den Flur entlangkam, in eines der Zimmer ging, fünf Minuten später wieder herauskam und auf dem Hotelflur zusammenbrach.«
Der Kommissar verschweigt, dass das betreffende Zimmer von der Kamera nicht erfasst wurde. Eine Auslassung ist keine Lüge.
»Die Sicherheitskräfte haben unverzüglich reagiert und gleich einen Arzt geschickt. Der bemerkte sofort den Bittermandelgeruch der Blausäure, die aber bereits so verdünnt war, dass sie keinen Schaden mehr anrichten konnte. Die Polizei war fünf Minuten später am Tatort, hat den Bereich abgesperrt, einen Krankenwagen gerufen, die Ärzte kamen ihm mit Sauerstoffmasken zu Hilfe.«
Savoy ist von der Lockerheit des Kommissars ehrlich beeindruckt. Muss man einen Kurs in Public Relations machen, wenn man Kommissar werden will?
»Das Gift kam in einem Umschlag, dessen Aufschrift wir bislang weder einem Mann noch einer Frau zuordnen konnten. Im Umschlag steckte ein Zettel.«
Kein Wort darüber, dass die Technik, mit der der Umschlag verschlossen wurde, äußerst raffiniert war; es ist höchst unwahrscheinlich, dass einer der anwesenden Journalisten darüber Bescheid weiß, obwohl später entsprechende Fragen unausweichlich sein würden. Der Kommissar sagt auch nicht, dass ein anderes Mitglied der Filmindustrie am Nachmittag ebenfalls vergiftet worden ist. Offenbar gehen alle davon aus, der berühmte Filmverleiher sei an einem Herzinfarkt gestorben, obwohl niemand von der Polizei das behauptet hatte. Es ist gut, zu wissen, dass die Presse manchmal – aus Faulheit oder
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