Der Sieger bleibt allein (German Edition)
miteinander und schauen immer auf den, der gerade ganz oben steht.
In der Welt der Träume würden die Mächtigen jetzt noch auf ein Glas in der Bar bleiben und mit den Schauspielern, den Regisseuren, Stylisten und Schriftstellern reden, die dort mit vor Müdigkeit geröteten Augen herumsitzen und sich gleichzeitig fieberhaft überlegen, wie sie wieder in ihre gemieteten Zimmer in entlegenen Orten der Umgebung zurückkommen, von denen aus sie am nächsten Morgen erneut zu dem Marathon der Bittstellerei, der Jagd nach Chancen auf ein Treffen und Entgegenkommen aufbrechen.
In der wirklichen Welt aber sind die Mächtigen gerade dabei, ihre E-Mails zu checken, sich darüber zu beklagen, dass die Partys hier in Cannes alle immer gleich sind, dass die Freundin ihres Konkurrenten kostbareren Schmuck getragen hat als ihre eigene und dass dessen Jacht viel prächtiger ist als ihre, und sie fragen sich, wie das nur möglich ist.
Igor hat niemanden, mit dem er sich unterhalten kann, aber er hat auch kein Interesse daran. Der Sieger bleibt allein.
Igor ist der erfolgreiche Besitzer und Geschäftsführer einer Telefongesellschaft in Russland. Er hat schon vor einem Jahr die beste Suite im Martinez reserviert (Mindestreservierungsdauer ist zwölf Tage, unabhängig davon, wie lange man tatsächlich bleibt). Er ist am Nachmittag mit dem Privatjet gelandet, hat ein Bad genommen und ist anschließend hinunter in die Bar gegangen, um die beiden anderen zu sehen.
Eine Zeitlang wurde er von Schauspielerinnen, Schauspielern und Regisseuren gestört, doch er hat sich elegant aus der Affäre gezogen, indem er sagte:
»Don’t speak English, sorry. Polish.«
Oder:
»Don’t speak French, sorry Mexican.«
Jemand hatte versucht, ein paar Worte Spanisch zu sprechen, aber Igor hatte zu einer weiteren List Zuflucht genommen. Er trug Zahlen in ein Heft ein, um weder für einen Journalisten gehalten zu werden (die interessieren alle) noch für einen Menschen, der etwas mit dem Filmbusiness zu tun hat. Neben ihm lag eine russische Wirtschaftszeitung mit einem uninteressanten Manager auf dem Titelblatt.
Die Stammkunden der Bar, die sich etwas auf ihre Menschenkenntnis einbilden, halten Igor für einen dieser Millionäre, die nach Cannes fahren, um sich eine Geliebte zu angeln, und lassen ihn in Frieden. Spätestens nachdem sich der Fünfte unter dem Vorwand an seinen Tisch gesetzt hat, es sei kein anderer Stuhl mehr frei, ist allen klar, dass der einsame Mann nicht ins Film- oder Modebusiness gehört und allerhöchstens als »Parfüm« tauglich ist.
»Parfüm« ist ein Codewort unter Schauspielerinnen und Starlets für hilfreiche Begleiter: »Parfüms« kann man leicht wechseln, und es gibt welche, die sich als wahre Schätze erweisen. »Parfüms« werden von den Schauspielerinnen erst in den letzten Tagen des Festivals angesprochen, wenn sie es aus eigener Kraft nicht geschafft haben, etwas Interessantes oder jemand Interessanten im Filmbusiness aufzutun. Also kann dieser merkwürdige, reich wirkende Mann noch warten. Alle wissen, dass man besser die Bar mit einem Mann verlässt, der sich als Filmproduzent erweisen könnte, als allein zum nächsten Event zu gehen und das immer gleiche Ritual zu wiederholen: trinken, lächeln (vor allem lächeln), so zu tun, als würde man niemanden ansehen, während das Herz schneller schlägt und die Zeit vergeht. Und es bleiben immer noch ein paar Abende mit besonderen Galas, zu denen sie nicht eingeladen wurden, die »Parfüms« aber schon.
Die Schauspielerinnen und Starlets wissen genau, was die »Parfüms« zu ihnen sagen werden, denn sie sagen immer das Gleiche:
a) »Ich kann dein Leben verändern.«
b) »Viele Frauen würden gern an deiner Stelle sein.«
c) »Noch bist du jung, aber denk daran, was in ein paar Jahren sein wird. Jetzt ist der Augenblick, um in die Zukunft zu investieren.«
d) »Ich bin verheiratet, aber meine Frau...« (dieser Satz kann unterschiedlich enden: »ist krank«, »hat gedroht, sich umzubringen, wenn ich sie verlasse« usw.)
e) »Du bist eine Prinzessin und verdienst es, als solche behandelt zu werden. Ich wusste es nicht, aber jetzt wird mir klar, dass ich immer auf dich gewartet habe. Ich glaube nicht an Zufälle, darum sollten wir unserer Beziehung eine Chance geben.«
Das Spiel ist immer das gleiche. Es gilt, ein Maximum an Geschenken aus den »Parfüms« herauszuholen (nach Möglichkeit Schmuck, der verkauft werden kann), Einladungen zu möglichst vielen
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