Der Sieger bleibt allein (German Edition)
– während sie in Wirklichkeit nur nicht genau sahen, was um sie herum vorging.
Nur zwei Gäste sahen alles und alle – Javits’ »Freunde«. Diesmal aber waren sie es, die beobachtet wurden.
Igor hatte die an einem Korkstückchen befestigte Nadel in den Trinkhalm gesteckt und so getan, als würde er ihn wieder in sein Glas tauchen.
Eine Gruppe hübscher Mädchen lauschte an Javits’ Nebentisch scheinbar verzückt den erstaunlichen Geschichten eines Jamaikaners. Tatsächlich machte jede Pläne, wie sie ihre Konkurrentinnen ausstechen und ihn ins Bett bekommen könnte – denn es hieß ja, dass Jamaikaner in Sachen Sex unschlagbar seien.
Igor hatte sich zu den Mädchen gestellt, den Trinkhalm aus dem Glas gezogen und die Nadel zu seinem Opfer hinübergeblasen. Er blieb nur so lange, bis er sah, dass sich Javits an den Rücken fasste. Dann ging er ins Hotel zurück, um noch etwas Schlaf zu bekommen.
Curare, das ursprünglich von den Indios in Südamerika bei der Jagd benutzt wurde, wird auch in Krankenhäusern verwendet – allerdings unter strengster Kontrolle, um durch gezielte Lähmung von Muskeln Chirurgen die Arbeit zu erleichtern. In tödlichen Dosen – wie auf der Nadelspitze, die Igor gerade abgeschossen hat –, führt Curare dazu, dass Vögel innerhalb von zwei Minuten zu Boden stürzen, Wildschweine nach einer Viertelstunde sterben und große Säugetiere wie der Mensch nach zwanzig Minuten.
Sobald Curare in den Blutkreislauf gelangt, entspannen sich alle Nerven im Körper und hören dann nach und nach auf zu funktionieren, was zu langsamem Ersticken führt. Das Seltsamste – oder, wie einige sagen würden, Schlimmste – daran ist, dass das Opfer bewusst miterlebt, was mit ihm geschieht, sich aber nicht bewegen kann, um um Hilfe zu rufen, und auch die Lähmung nicht aufhalten kann, die allmählich seinen Körper befällt.
Falls im Urwald jemand während der Jagd einen Finger am vergifteten Pfeil verletzt, wissen die Indios, was zu tun ist: Mund-zu-Mund-Beatmung und die Gabe eines Gegengiftes aus Kräutern, die sie immer bei sich haben, da solche Unfälle häufig vorkommen. Hierzulande meinen die Rettungssanitäter in einem solchen Fall, sie hätten einen Herzanfall vor sich, und leiten die falschen Maßnahmen ein.
Igor hatte sich nicht umgeschaut, als er ins Hotel zurückging. Er wusste, dass einer der »Freunde« in diesem Augenblick den Übeltäter suchte, während der andere den Krankenwagen rief, ohne angeben zu können, was passiert war. Die Sanitäter in ihren roten Westen würden mit einem Defibrillator (ein Apparat, der dem Herzen Elektroschocks versetzt) und einem tragbaren Gerät zur Aufzeichnung eines Elektrokardiogramms anrücken. Dabei wird bei einer Vergiftung mit Curare das Herz zuletzt angegriffen, es schlägt sogar noch nach dem Gehirntod weiter.
Die Rettungssanitäter würden am Herzschlag nichts Außergewöhnliches entdecken, Javits an einen Tropf hängen, in der Annahme, es handele sich um ein vorübergehendes Unwohlsein wegen der Hitze oder um eine Lebensmittelvergiftung. Gleichzeitig mussten sie die üblichen Maßnahmen einleiten, wie zum Beispiel das Anlegen einer Sauerstoffmaske. Die zwanzig Minuten würden dann schon um sein, und obwohl der Körper noch weiterlebte, würde er ohne Bewusstsein bleiben.
Ja, Igor hatte an alles gedacht. Er hatte seinen Privatjet benutzt, um in Frankreich mit einer nicht registrierten Pistole und den verschiedenen Giften einreisen zu können, die er über die tschetschenische Mafia in Moskau erhalten hatte. Jeden Schritt hatte er so sorgfältig vorbereitet wie einen Geschäftstermin. Er hatte sich im Kopf eine Liste der Arten von Opfer gemacht, die er suchen würde. Nur ein Opfer kannte er persönlich. Die anderen würden alle aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, Altersstufen und Ländern stammen. Monatelang hatte er das Leben von Serienmördern studiert und dabei ein unter Terroristen sehr beliebtes Computerprogramm benutzt, das von den Nachforschungen, die er anstellte, keine Spuren hinterließ. Er hatte alle Maßnahmen getroffen, um nach Abschluss seiner Mission unbemerkt entkommen zu können.
Igor schwitzt. Nein, er bereut nichts – vielleicht ist Ewa diese ganze Mühe ja tatsächlich wert –, aber wenn nun das Projekt vergeblich war? Selbstverständlich muss die Frau, die er liebt, erfahren, dass er imstande ist, alles für sie zu tun, sogar dazu, Welten zu zerstören – aber lohnt es wirklich? Oder ist es in
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