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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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bestimmten Augenblicken notwendig, das Schicksal hinzunehmen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und zu warten, dass die Menschen von selbst wieder vernünftig werden?
    Er ist müde. Er kann nicht mehr richtig denken. Wer weiß, vielleicht ist ja Märtyrertum besser als Mord. Sein eigenes Leben hingeben und so aus Liebe das größte Opfer zu bringen. Jesus ist dafür das beste Beispiel. Als seine Feinde ihn so besiegt an ein Kreuz genagelt sahen, dachten sie, damit wäre ihr Problem ein für alle Mal erledigt, und gingen stolz und siegesgewiss davon.
    Igor ist verwirrt. Sein Plan ist, Welten zu zerstören, und nicht, sein Leben und seine Freiheit aus Liebe zu opfern. In seinem Traum hatte Olivia wie eine Mater dolorosa ausgesehen; die Jungfrau Maria mit ihrem Sohn in den Armen, stolz und leidend zugleich.
    Igor geht ins Bad, hält den Kopf unter das kalte Wasser der aufgedrehten Dusche. Vielleicht liegt es ja am Schlafmangel, am fremden Ort oder an der Tatsache, dass er seinen Plan – von dem er nie gedacht hatte, dass er ihn angehen würde – bereits umsetzt. Er erinnert sich an das vor den Reliquien der heiligen Magdalena in Moskau abgelegte Gelübde. Aber tut er das Richtige? Er braucht ein Zeichen.
    Die Opferung. Ja, er hätte daran denken sollen, aber vielleicht hatte ihn die Erfahrung der zwei an diesem Vormittag zerstörten Welten überhaupt erst klarer sehen lassen. Die Erlösung durch völlige Hingabe an die Liebe. Sein Körper wird dem Gericht übergeben werden, denn die Richter beurteilen nur die Taten, nicht aber die Absichten und Beweggründe, die hinter jeder von der Gesellschaft für »verrückt« gehaltenen Handlung stecken. Jesus (der versteht, dass die Liebe jedes Opfer verdient) wird seinen Geist empfangen und Ewa seine Seele. Sie wird verstehen, wozu er fähig ist: völlige Hingabe, Selbstauslöschung, und all das für eine einzige Person. Er wird nicht zum Tode verurteilt werden, da die Guillotine in Frankreich vor vielen Jahrzehnten abgeschafft worden ist, aber er wird wahrscheinlich viele Jahre hinter Gittern verbringen müssen. Ewa wird ihre Sünden bereuen. Sie wird ihn im Gefängnis besuchen, ihm Essen bringen, sie werden Zeit haben, miteinander zu reden, nachzudenken, Zeit haben zu lieben – auch wenn ihre Körper einander nicht berührten, würden ihre Seelen einander näher sein als je zuvor. Auch wenn sie lange darauf warten müssten, endlich in dem Haus zu leben, das er vorhat, am Baikalsee zu bauen – diese Wartezeit würde sie läutern und segnen.
    Ja, die Opferung. Igor dreht den Duschhahn zu, betrachtet einen Augenblick lang sein Gesicht im Spiegel und sieht nicht sich selber, sondern das Lamm Gottes, das bald erneut geopfert werden wird. Igor zieht sich wieder an, geht hinunter auf die Straße bis zu der Stelle, an der Olivia gesessen hatte, und wendet sich an den erstbesten Polizeibeamten.
    »Ich habe das Mädchen getötet, das hier seinen Stand hatte.«
    Der Polizist sieht den Mann an, der zwar gut gekleidet ist, aber zerzaustes Haar und tiefe Ringe unter den Augen hat.
    »Meinen Sie das Mädchen, das hier Kunsthandwerk verkauft hat?«
    Igor nickt. Ja.
    Der Polizist ist mit den Gedanken woanders. Er begrüßt ein Paar, das mit Tüten beladen aus dem nahe gelegenen Supermarkt kommt.
    »Sie sollten jemanden einstellen, der Ihnen tragen hilft!«
    »Wenn Sie das Gehalt zahlen«, entgegnet die Frau lächelnd. »Außerdem ist es unmöglich, hier Personal zu finden.«
    »Sie tragen jede Woche einen neuen Brillantring am Finger, am Geld wird es vermutlich nicht scheitern.«
    Igor versteht das Ganze nicht. Er hat gerade einen Mord gestanden.
    »Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?«
    »Es ist sehr heiß. Schlafen Sie ein wenig, ruhen Sie sich aus, Cannes hat seinen Besuchern sehr viel zu bieten.«
    »Aber das Mädchen?«
    »Kannten Sie sie?«
    »Ich hatte sie vorher noch nie gesehen. Sie war heute Morgen hier. Ich –«
    »...Sie haben den Krankenwagen kommen sehen, jemanden, der weggetragen wurde. Ich verstehe. Und sie haben daraus gefolgert, dass das Mädchen ermordet wurde. Ich weiß nicht, woher Sie kommen, ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben. Aber seien Sie vorsichtig mit Drogen! Es heißt immer, sie seien gar nicht so schlimm, und sehen Sie, was mit der armen Tochter der Portugiesen passiert ist.«
    Und damit geht der Polizist, ohne Igors Antwort abzuwarten, davon.
    Igor hätte nicht lockerlassen sollen, Einzelheiten nennen. Vielleicht hätte ihn der Polizist dann ernst

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