Der Sieger bleibt allein (German Edition)
genommen. Natürlich war es unmöglich, jemanden am helllichten Tage auf der Strandpromenade von Cannes umzubringen. Er hätte auch gern etwas über die andere Welt gesagt, die bei dieser gutbesuchten Party erloschen war.
Aber der Gesetzeshüter hatte ihn nicht anhören wollen. In was für einer Welt lebte er eigentlich? Musste er erst die Pistole ziehen und in alle Richtungen schießen, damit man ihm glaubte? Musste er sich wie ein blindwütiger Barbar aufführen, bis man ihm endlich zuhörte?
Igor sieht dem Polizisten nach, der die Straße überquert und einen Imbiss betritt. Er beschließt, noch ein wenig zu bleiben für den Fall, dass der Polizist es sich anders überlegt, vielleicht weil er von der Wache irgendeine Information erhalten hat und nun mit Igor reden will, um Näheres über den Mord zu erfahren.
Aber Igor ist sich ziemlich sicher, dass das nicht geschehen wird. Ihm fällt die Bemerkung des Polizisten über den Brillanten am Finger der Frau wieder ein. Wusste der Polizist überhaupt, woher der Diamant kam? Selbstverständlich nicht! Denn hätte er es gewusst, hätte er die Frau mit auf die Wache genommen und sie beschuldigt, Diebesgut zu besitzen.
Die Frau dachte natürlich, dass der Diamant wie durch ein Wunder in einem Luxusgeschäft aufgetaucht wäre, nachdem er – wie die Verkäufer immer sagten – von holländischen oder belgischen Spezialisten geschliffen worden und von Diamanthändlern nach Farbe, Schliff, Reinheit, Gewicht und Form klassifiziert worden sei. Der Preis eines Steines, der für die meisten Sterblichen sowieso schon unglaublich hoch war, konnte je nach Klassifizierung bei gleichem Gewicht um mehrere Tausend Euro differieren.
Diamanten. Brillanten, wenn man sie so nennen will. Wie jeder weiß, ein einfaches Stück Kohle, das Hitze und Zeit bearbeitet hatten. Da es nichts Organisches enthält, kann man unmöglich feststellen, wie lange es gedauert hat, bis das Stück Kohle seine Struktur veränderte, Schätzungen von Geologen zufolge zwischen dreihundert Millionen und einer Milliarde Jahren. Zumeist entstehen Diamanten in 150 Kilometern Tiefe, aus der sie ganz allmählich aufsteigen, bis sie abgebaut werden können.
Der Diamant ist das widerstandsfähigste, härteste von der Natur geschaffene Material und kann selbst nur von einem anderen Diamanten zerschnitten oder geschliffen werden. Die Überreste des Schliffs werden in der Industrie in Schleif- und Poliermaschinen gebraucht. Aber hauptsächlich dient der Diamant als Schmuckstück. Er ist der höchste Ausdruck menschlicher Eitelkeit.
Vor ein paar Jahrzehnten, als sich die Welt verstärkt praktischen und der sozialen Gerechtigkeit dienenden Dingen zuzuwenden schien, verschwanden Diamanten weitgehend vom Markt. Bis die größte Minengesellschaft der Erde mit Sitz in Südafrika beschloss, eine der weltbesten Werbeagenturen zu engagieren. Mitglieder der Superklasse trafen sich mit anderen Mitgliedern der Superklasse, es wurden Marktuntersuchungen durchgeführt, und das Ergebnis war ein aus drei Worten bestehender Satz:
›Diamanten sind ewig.‹
Und damit war das Problem gelöst. Die Juweliere fingen an, mit diesem Slogan zu arbeiten, und die Industrie erblühte aufs Neue. Wenn Diamanten ewig sind, dann gibt es nichts Besseres, womit sich Liebe auszudrücken lässt, die ja theoretisch auch ewig währt. Nichts hob die Mitglieder der Superklasse besser von den Milliarden anderer Erdbewohner ab als die Diamanten, mit denen sie sich schmücken. Die Nachfrage nach den Steinen nahm zu, die Preise stiegen. Nicht lange, da tauchten unter den Diamanten der südafrikanischen Gruppe, die bis dahin die Regeln des internationalen Marktes diktiert hatte, sogenannte Blutdiamanten auf.
Igor weiß, wovon er spricht. Als er die Armee aufbaute, die einen blutigen Stammeskonflikt in Afrika beenden sollte, hatte sich dies als äußerst schwierige Aufgabe erwiesen. Aber er stand dazu, denn er hatte mit Hilfe von Diamanten viele Leben gerettet, wenngleich das in seiner Biografie nie erwähnt werden wird. Ewa gegenüber hatte er es einmal bei irgendeinem Abendessen kurz angedeutet, aber nicht weiter darüber reden wollen. Wenn man Gutes tut, soll die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.
Dieser Polizist, der einen Mörder nicht ernst nimmt, der seine Tat gesteht und gleichzeitig den Brillantring am Finger einer Toilettenpapier und Reinigungsmittel schleppenden Frau bewundert, hat seinen Beruf verfehlt. Er weiß nicht, dass jene
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