Der Sieger bleibt allein (German Edition)
dahinter, ein geheimes Zeichen: Es war vorherbestimmt, dass sie beide einander begegneten.
Sie lacht über sich selbst. In ihrer augenblicklichen Verzweiflung ist alles und jedes ein Zeichen, ein Ausweg, eine gute Nachricht.
»Zuerst einmal muss ich wissen, was Sie brauchen«, sagt der Mann.
»Ich brauche Hilfe. Ich habe einen fertigen Film mit einer erstklassigen Besetzung, der von einem der wenigen Menschen vertrieben werden sollte, die noch an das Talent von jemandem glauben, der nicht zum System gehört. Ich sollte mich morgen mit dem Verleiher treffen. Heute saß ich beim Lunch zufällig an seinem Nebentisch und bemerkte plötzlich, dass er sich unwohl fühlte.«
Igor entspannt sich. Möglicherweise stimmt es ja doch, dass in der realen Welt absurdere Dinge als in der fiktiven Welt der Bücher passieren.
»Ich bin aus dem Zelt hinausgegangen, habe mich erkundigt, in welches Krankenhaus er gebracht wird, und bin ihm nachgefahren. Unterwegs habe ich mir überlegt, was ich sagen soll: dass ich seine Freundin bin, dass wir ein gemeinsames Projekt haben. Ich hatte noch nie zuvor mit ihm gesprochen, aber ich war mir sicher, dass jemand, der sich in einer kritischen Lage befindet, froh ist, wenn irgendjemand bei ihm ist.«
Anders gesagt, sie wollte das Unglück eines anderen für sich ausnutzen, denkt Igor.
Die Menschen sind alle gleich, absolut gleich.
»Und was genau ist eine erstklassige Besetzung?«
»Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment, ich muss schnell ins Bad.«
Igor erhebt sich höflich, setzt die Sonnenbrille auf und versucht, während sie sich entfernt, Gelassenheit vorzutäuschen. Er setzt sich wieder, trinkt seinen Tee, während seine Augen unaufhörlich über die Terrasse schweifen. Auf den ersten Blick sieht er nichts Verdächtiges, aber es ist auf jeden Fall besser, wenn er von hier verschwindet, sobald die Frau wieder auftaucht.
Maureen ist beeindruckt von der Höflichkeit ihres neuen Bekannten. Seit Jahren hat sie niemanden mehr kennengelernt, der sich den Regeln der Etikette entsprechend verhielt, die ihre Eltern ihr beigebracht hatten. Als sie die Terrasse verlässt, bemerkt sie, wie zwei junge, hübsche Frauen am Nebentisch, die bestimmt gelauscht haben, zu ihm hinüberblicken und lächeln. Sie sieht auch, wie er seine Sonnenbrille aufsetzt – vielleicht um die Frauen unbemerkt zu beobachten. Möglicherweise würden sie bereits miteinander Tee trinken, wenn sie zurückkommt.
Doch so ist nun mal das Leben: Klagen hilft nichts, man kann nur hoffen.
Maureen betrachtet ihr Gesicht im Spiegel: Es kann unmöglich sein, dass ein Mann sich für sie interessiert. Sie muss nüchtern werden, genau wie er vorgeschlagen hat. Ihre Augen sind müde, leer, sie ist erschöpft wie alle anderen Festivalteilnehmer auch, aber sie darf jetzt nicht aufgeben. Cannes ist noch nicht zu Ende, Javits könnte sich trotz allem erholen oder jemand anders würde sie an seiner Stelle empfangen. Sie hat Eintrittskarten für verschiedene Filme, eine Einladung zu einer Party der ›Gala‹, einer der wichtigsten Frauenzeitschriften in Frankreich, und könnte die restliche Zeit dazu nutzen, zu sehen, wie unabhängige Produzenten und Regisseure in Europa ihre Arbeit an den Mann beziehungsweise an einen Verleiher bringen. Sie muss sich schnell wieder fangen. Über den gutaussehenden Mann macht sie sich am besten keine Illusionen.
Als sie zum Tisch zurückkehrt, ist sie überzeugt, ihn dort mit den zwei jungen Mädchen sitzen zu sehen, doch er ist immer noch allein. Er erhebt sich wieder zuvorkommend, zieht ihren Stuhl zurück, damit sie sich setzen kann.
»Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Maureen.«
»Igor. Angenehm. Wo waren wir stehengeblieben? – Richtig, Sie wollten mir gerade erzählen, was eine ideale Besetzung ist.«
Maureen beschließt, den jungen Mädchen am Nebentisch eins auszuwischen, und redet so laut, dass diese jedes Wort verstehen müssen.
»Hier in Cannes und bei jedem anderen Festival werden jedes Jahr neue Schauspielerinnen entdeckt, und jedes Jahr verlieren große Schauspielerinnen eine große Rolle – weil die Filmindustrie findet, dass sie zu alt geworden sind, obwohl sie eigentlich noch jung genug und voller Begeisterung dabei sind. Einige von den neu entdeckten Schauspielerinnen ( hoffentlich hören die Mädchen am Nebentisch gut zu! ) wollen nichts als in die Welt des Glamours gelangen. Mit den Filmen, in denen sie mitspielen, verdienen sie nicht viel, und die
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