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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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gehabt zu fliehen, als er ihr die verschiedenen Stellen zeigte, an denen der kleine Gegenstand tödliche Verletzungen hervorrufen konnte.
    Ein Polizeiwagen fährt auf der für die Öffentlichkeit gesperrten Fahrspur an ihm vorbei. Igor schaut ihm nach und sieht zu seiner Überraschung, dass er genau auf den Pier zuhält, auf den während des Festivals sonst nie eine Menschenseele kommt. Er ist am Morgen dort gewesen und hat ihn ebenso verlassen vorgefunden wie jetzt am Nachmittag, obwohl es ein idealer Ort war, wo man den Sonnenuntergang genießen konnte.
    Wenige Sekunden später fährt ein Krankenwagen mit Blaulicht und Sirenengeheul vorbei. Er fährt in dieselbe Richtung wie der Polizeiwagen.
    Igor geht weiter. Er weiß jetzt: Jemand hat den Mord gesehen. Wie würde dieser Jemand ihn beschreiben? Grauhaariger Mann, Jeans, weißes Hemd, schwarzes Jackett. Der mögliche Zeuge würde eine mündliche Beschreibung liefern, und das würde nicht nur eine Weile dauern, sondern zu der Schlussfolgerung führen, dass es zig, möglicherweise Tausende Leute gibt, die ähnlich aussehen.
    Seit er sich der Polizei stellen wollte und von dem Polizisten ins Hotel zurückgeschickt wurde, ist er davon überzeugt, dass niemand seine Mission noch aufhalten kann. Seine Zweifel sind jetzt ganz anderer Natur: Verdient Ewa überhaupt die Opfer, die er dem Universum darbringt? Als er nach Cannes gekommen war, hatte er nicht daran gezweifelt. Inzwischen aber bewegt ihn etwas anderes: Er vermeint den Geist der kleinen Kunsthandwerks-Verkäuferin mit ihren dichten Augenbrauen und ihrem unschuldigen Lächeln zu hören:
    ›Innerhalb der Schöpfung strebt ein jeder nach Liebe. Doch dieses Streben sollte nicht auf einen einzigen Menschen gerichtet sein. Die Liebe ist überall auf der Welt und wartet darauf, entdeckt zu werden. Wach auf, erwache für diese Liebe. Vergangenes soll nicht wiederkehren. Was kommt, muss erkannt werden.‹
    Igor kämpft gegen diesen Gedanken an. Wir finden erst heraus, dass ein Plan falsch ist, wenn wir ihn bis in alle Konsequenzen durchführen. Oder wenn Gott, der Barmherzige, uns in eine andere Richtung führt.
    Igor schaut auf die Uhr: Ihm bleiben noch zwölf Stunden in der Stadt, genügend Zeit, bevor er sein Flugzeug mit der Frau besteigt, die er liebt, und wieder zurückkehrt nach...
    ...wohin? Zu seiner Arbeit in Moskau – nach allem, was er erlebt, gelitten, gedacht, geplant hat? Oder würde er endlich durch alle seine Opfer wiedergeboren werden, die absolute Freiheit wählen, Seiten von sich selber zu entdecken, die er noch nicht kennt, und von diesem Augenblick an genau die Dinge tun, von denen er geträumt hat, als er noch mit Ewa zusammen war?
     

16 Uhr 34
     
     
     
    Jasmine raucht und schaut gedankenverloren aufs Meer. In solchen Augenblicken fühlt sie sich mit dem Unendlichen so tief verbunden, als wäre nicht sie es, die sich dort befindet, sondern etwas Mächtiges, das imstande ist, Außergewöhnliches zu vollbringen.
     
    Sie erinnert sich an eine alte Geschichte, die sie einmal irgendwo gelesen hat:
    Nasrudin erschien mit einem herrlichen Turban bei Hofe, um Geld für einen wohltätigen Zweck zu erbitten.
    »Und um von mir Geld zu erbitten, kommt Ihr mit einem so teuren Kopfschmuck zu mir?! Wie viel hat dieses außergewöhnliche Stück denn gekostet?«, fragte der Herrscher.
    »Fünf Goldstücke«, antwortete der Sufi-Gelehrte.
    »Das ist gelogen. Kein Turban kostet so viel«, flüsterte der Minister dem Herrscher ins Ohr.
    Nasrudin blieb beharrlich:
    »Ich bin nicht nur gekommen, um zu bitten, sondern auch, um zu handeln. Ich habe so viel Geld für den Turban bezahlt, weil ich wusste, dass auf der ganzen Welt nur ein Herrscher in der Lage wäre, ihn mir für sechshundert Goldstücke abzukaufen, damit ich den Gewinn unter die Armen verteilen kann.«
    Der Sultan war geschmeichelt und zahlte, was Nasrudin verlangte. Beim Hinausgehen sagte der Sufi-Gelehrte zum Minister:
    »Sie mögen zwar genau wissen, was ein Turban kostet, aber ich weiß, wozu Eitelkeit einen Menschen bringen kann.«
     
    Um ebendiese Eitelkeit geht es in Jasmine Umgebung. Sie mag ihren Beruf, sie gesteht jedem zu, nach seiner Fasson selig zu werden, weiß aber selber sehr genau, was im Leben wirklich wichtig ist. Und sie will mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, auch wenn überall Versuchungen lauern.
    Jemand schaut zur Tür herein, sagt, in einer halben Stunde gehe es los, hinaus auf den Laufsteg. Das Schlimmste ist damit

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