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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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habe ich seit dem Tod deines Vaters täglich geschuftet? Ich habe gespart, wir haben die zweitausend Euro. Wenn es nötig sein sollte, auch noch mehr. Eine Putzfrau in Europa verdient gut, denn hier mag niemand den Dreck anderer wegmachen. Und wir reden hier von deiner Zukunft. Wir gehen jetzt nicht nach Hause!«
    Das Handy klingelte erneut. Jasmine wurde wieder Cristina und gehorchte ihrer Mutter. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die ihren Namen nannte und sich entschuldigte, es sei ihr etwas dazwischengekommen, sie müssten ihren Termin leider um zwei Stunden verschieben.
    »Das ist nicht weiter schlimm«, antwortete Cristina. »Aber bevor Sie Ihre Zeit vergeuden, hätte ich gern gewusst, was Ihre Arbeit kosten wird.«
    »Was sie kosten wird?«
    »Ja. Ich komme gerade von einem Termin, und die wollen zweitausend Euro für die Fotos, das Make-up...«
    Die Frau am anderen Ende der Leitung lachte.
    »Es kostet gar nichts. Den Trick kenne ich, lass uns darüber reden, wenn du hier bist.«
     
    Das Studio sah ganz ähnlich wie das vom Vormittag aus, aber die Unterhaltung verlief völlig anders.
    Die Fotografin wollte wissen, warum Cristina trauriger aussah als bei ihrem erstes Treffen. Cristina erzählte, was ihr am Vormittag bei dem anderen Fotografen widerfahren war, worauf die Fotografin sie darüber aufklärte, dass dies vollkommen normal sei, die Behörden allerdings heutzutage solche Praktiken stärker im Auge behielten. In genau diesem Augenblick würden überall auf der Welt hübsche Mädchen eingeladen, ihr »Schönheitspotential« zu zeigen, was sie dann teuer zu stehen kam. Unter dem Vorwand, junge Talente zu suchen, mieteten solche Leute Zimmer in Luxushotels, stellten dort Fotoapparate auf und versprachen mindestens eine Modenschau pro Jahr oder »Geld zurück«. Sie nahmen ein Vermögen für die Fotos, holten gescheiterte Profis als Make-up- und Hairstylisten, brachten Modelschulen ins Spiel und verschwanden anschließend oft spurlos. Cristina habe Glück gehabt, zu einem echten Studio gegangen zu sein, sei aber auch klug genug gewesen, das Angebot abzulehnen.
    »Sie setzen auf die Eitelkeit der Menschen, was ja primär nicht falsch ist – solange alle Beteiligten sich dessen bewusst sind, selbstverständlich. So was gibt es nicht nur in der Welt der Mode, sondern auch in anderen Branchen: Schriftsteller zum Beispiel publizieren ihre Arbeiten oft im Selbstverlag, Maler finanzieren ihre Ausstellungen, Filmemacher verschulden sich im Kampf mit den großen Studios, junge Mädchen in deinem Alter geben alles auf und arbeiten in der Großstadt als Kellnerinnen in der Hoffnung, eines Tages würde ein Produzent ihr Talent entdecken und aus ihnen einen Star machen.«
    Sie würde nicht jetzt sofort Fotos machen, sagte die Frau. Dazu müsse sie Jasmine erst näher kennenlernen, denn das Drücken auf den Auslöser stehe am Ende eines langen Prozesses, an dessen Anfang es darum gehe, die Seele eines Menschen zu entdecken.
    »Du musst dir einen anderen Namen aussuchen.«
    »Jasmine Tiger.«
    Ja, in diesem Augenblick war ihr Traum wieder lebendig geworden.
     
    Die Fotografin hatte sie zu einem Wochenende an einen Strand nahe der holländischen Grenze eingeladen, wo sie dann mehr als acht Stunden am Tag damit verbrachten, alle möglichen Experimente vor der Kamera zu machen.
    Jasmine hatte mit dem Gesicht Gefühle ausdrücken müssen, die bestimmte Wörter in ihr auslösten: »Feuer« oder »Verführung« oder »Wasser«. Jasmine hatte die gute und die schlechte Seite ihrer Seele zeigen müssen. Sie hatte nach vorn, zur Seite, nach unten, in die Ferne blicken müssen. Sie hatte sich Möwen und Dämonen vorstellen müssen oder dass sie in einer Bar von älteren Männern auf die Toilette gezerrt und reihum von ihnen vergewaltigt wurde. Sie hatte sich vorstellen müssen, Sünderin und Heilige zu sein, pervers und unschuldig.
    Einige der Fotos machten sie auch im Freien. Es war bitterkalt, trotzdem konnte Jasmine die Anregungen und Vorschläge der Fotografin umsetzen. Sie benutzten auch das kleine improvisierte Studio in einem der Hotelzimmer. Dazu spielte Musik, die ebenso häufig wechselte wie die Beleuchtung. Jasmine schminkte sich selber, die Fotografin frisierte sie.
    »Bist du mit mir zufrieden? Warum investierst du so viel Zeit in mich?«
    Doch die Fotografin antwortete nur immer wieder, »lass uns später darüber reden«, und verbrachte die Abende damit, sich die Fotos anzusehen und sich Notizen dazu zu

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